Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gefangene des Feuers

Titel: Gefangene des Feuers
Autoren: Linda Howard
Vom Netzwerk:
gelingen würde, ihm irgendwann zu entkommen, zweifelte sie ernsthaft daran, allein in der Wildnis überleben zu können. Denn sie hatte schon zu viel erlebt, um noch naiv darauf vertrauen zu können, dass sie auf ihrem Pferd ungeschoren nach Silver Mesa zurückkehren könnte. Außerhalb der Stadt mit ihrem zweifelhaften Schutz war das Leben ein einziges Grauen.
    „Steigen Sie auf das verdammte Pferd!“ Sein heftiger Tonfall zeigte, dass er mit seiner Geduld am Ende war. Annie stieg in den Sattel, behindert durch ihre Röcke, aber sie wusste, dass jeglicher Protest sinnlos war, genau wie eine Bitte, sich etwas Praktischeres anziehen zu dürfen.
    Sie hatte es immer zu schätzen gewusst, dass sie am Rande der Stadt wohnte, wo sie für sich war und trotzdem schnell überall hinkam. So hatte sie Ruhe vor den betrunkenen Minenarbeitern, die sich durch die Vorräte der Saloons tranken und laut krakeelend in den frühen Morgenstunden aus den Freudenhäusern torkelten. Jetzt hätte sie alles darum gegeben, einen betrunkenen Minenarbeiter zu sehen. Denn hier konnte sie sich die Seele aus dem Leib schreien, ohne von jemandem gehört zu werden.
    „Blasen Sie die Lampe aus!“, sagte Rafe, und sie beugte sich hinunter aus dem Sattel und kam seinem Befehl nach. Einen Moment war sie orientierungslos, als das Licht verlosch, auch wenn die dünne Sichel des Neumondes am Himmel aufging.
    Er ließ seine Zügel los und streckte seine behandschuhte Hand aus, während er in der anderen die Pistole hielt. Der große Braune bewegte sich nicht, ein Ergebnis des guten
    Trainings und der Kontrolle der starken Schenkel um seinen Rumpf. „Geben Sie mir Ihre Zügel.“
    Wieder blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm zu gehorchen. Nachdem sie ihm die Zügel gereicht hatte, zog er sie über den Kopf ihres Pferdes und schlang sie um sein Sattelhorn, sodass ihrem Pferd nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen. „Und kommen Sie nicht auf die Idee, aus dem Sattel zu springen!“, warnte er sie. „Sie werden mir nicht entwischen - Sie machen mich damit nur verdammt wütend.“ Seine bedrohlich klingende Stimme sandte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. „Und das wollen Sie doch nicht.“
    Er hielt die Pferde in einem gemächlichen Schritt, bis sie Silver Mesa ein gutes Stück hinter sich gelassen hatten. Dann verfiel er mit dem Braunen in einen leichten Galopp. Annie klammerte sich mit den Händen an ihren Sattel. Inzwischen wünschte sie, sie hätte ihre Handschuhe angezogen, denn die Nachtluft war beißend kalt. Ihr Gesicht und die Hände schmerzten schon vor Kälte.
    Jetzt, da ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie gut genug, um zu bemerken, dass sie Richtung Westen ritten, tiefer in die Berge hinein. Weiter oben würde es noch kälter sein. Selbst mitten im Juli waren die hohen Bergspitzen noch schneebedeckt.
    „Wo reiten wir hin?“, fragte sie, um einen ruhigen Ton bemüht.
    „Nach oben“, entgegnete er knapp.
    „Warum? Und weshalb zwingen Sie mich mitzukommen?“
    „Sie haben doch selbst gesagt, dass ich einen Arzt brauche“, antwortete er gleichmütig. „Sie sind ein Arzt. Und jetzt halten Sie die Klappe.“
    Sie gehorchte, musste jedoch ihre ganze Selbstkontrolle aufbringen, um nicht hysterisch zu werden. Auch wenn sie überhaupt nicht der Typ für hysterische Anfälle war, hätte sie wohl in diesem Fall jedes Recht dazu. In Philadelphia war es jedenfalls nicht üblich gewesen, dass die Leute einen Arzt entführten, wenn sie einen brauchten.
    Es war jedoch nicht so sehr die Situation, die ihr Angst machte, sondern der Mann selbst. Seit er sie zum ersten Mal aus diesen kalten, hellgrauen Augen angesehen hatte, wusste sie, dass dieser Fremde gefährlich war, gefährlich wie ein Puma. Er könnte sich auf sie stürzen und sie schnell und problemlos töten. Sie hatte ihr Leben der Hilfe anderer verschrieben und wollte Leben retten. Er hingegen stellte das genaue Gegenteil all ihrer Grundsätze dar, aller Dinge, die ihr wichtig und wertvoll waren. Und trotzdem zitterten ihre Hände, wenn sie ihn berührte. Nicht nur aus Angst. Sondern auch, weil sein starker, männlicher Körper sie tief im Innern schwach werden ließ. Allein die Erinnerung daran trieb ihr die Röte in die Wangen. Als Ärztin war sie eigentlich zur Zurückhaltung verpflichtet.
    Nachdem eine Stunde vergangen war, fühlten sich ihre Füße immer tauber an. Annie fragte sich, ob ihre Finger wohl brechen würden, wenn sie die Gelenke bewegte.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher