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Gefaehrtin Der Daemonen

Titel: Gefaehrtin Der Daemonen
Autoren: Marjorie M. Liu
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warme Hand auf meinen Nacken und sah mir in die Augen.
    Ich musste den Blick abwenden. Die Zombies waren verschwunden, hatten sich zerstreut, waren in der Menge der verängstigten Menschen, die vor der Gewalt flüchteten, untergetaucht. Hinter den Scheiben vorbeifahrender Autos glotzten mich Gesichter an, mit vor Entsetzen aufgerissenen Mündern.
    Der Mann umfasste noch immer meinen Nacken. »Wie geht es Ihnen?«
    »Was ist mit … Ihnen ?« Meine Stimme klang genauso zittrig wie ich mich fühlte. In den Kopf geschossen. Sie hat mir in den Kopf geschossen . Ich schüttelte seine Hand ab, ging dann weiter. Er folgte mir. Seine Knie zitterten, gerade noch rechtzeitig erwischte er seinen Stock. Ich packte seinen Arm, zog ihn an mich und stützte ihn. Sein Körper fühlte sich fest und stark an. Und er roch gut. Nach Zimt und Sonne. Vertraute, warme Gerüche.
    »Es tut mir leid«, murmelte er. Ich antwortete nicht. Mir lief die Zeit davon, und zurücklassen konnte ich ihn auch nicht. Ich zerrte an seiner Hand, doch er widersetzte sich, blickte die alte Frau an - den Zombie -, die auf dem Boden lag, im Sterben.
    »Wir müssen gehen«, erklärte ich ihm. Wir . Ein Wort, das ich lange nicht mehr benutzt hatte. Außer bei den Jungs.
    »Sie ist schwer verletzt«, antwortete er.
    »Sie wollte Sie umbringen.«
    »Das spielt keine Rolle.« Er sah mich an, und seine Miene verhärtete sich. »Gehen Sie. Machen Sie schon.«
    Ich konnte es nicht. Ich legte die Hände um sein Gesicht, packte seinen Kragen und zog ihn so dicht zu mir, dass ich seine
Lippen schon fast schmecken konnte. Sein Gesicht war nass vom Regen, sein Kiefer kantig und dunkel. Ich sollte verschwinden. Ich sollte weglaufen, ihn einfach stehen lassen. Ich sollte diese Stadt und auch alles andere hinter mir lassen, es aufgeben, das Rätsel der Dämonen und Zombies lösen zu wollen - das der Gefängnisse, des Schleiers, der Waffen und Mörder -, und mich hoch oben auf einem Berg am Ende der Welt verstecken. Mich dort vergraben und so tun, als wäre ich nicht geboren, um zu töten.
    »Bitte«, flüsterte ich.
    Seine Kiefer mahlten. Er strich mir über den Rücken, nahm meine Hand. Ich ließ seinen Kragen los. Aber er, er ließ mich nicht los.
    Ich zerrte ihn unter die Arkaden. Er humpelte stark, aber ich schleifte ihn einfach mit, schnell und ohne zu zögern. Ich blickte nicht zurück, ließ die alte Frau verbluten. Sollte sich der Dämon doch einen neuen Wirt suchen. Auch wenn ich es hasste, das zu tun. Meine Mutter hätte es ebenfalls gehasst. In einer vollkommenen Welt hätte ich solche Entscheidungen nicht treffen müssen, sondern hätte einfach nur das Richtige getan. Aber dies war keine vollkommene Welt. Es war ein Gefängnis, und meine Mitgefangenen hatten nicht die geringste Ahnung davon.
    Ich hatte keine Zeit. Ich wusste nicht, wohin, aber da war eine Treppe. Ich stieg die Stufen hinunter. Der Mann ließ meine Hand los, und packte stattdessen meinen Ärmel. Er durfte mir nicht entkommen.
    Dann sagte er etwas, vielleicht protestierte er, aber ich hörte es nicht. Irgendwo über uns versank die Sonne hinter dem Horizont. Ich konnte die Sekunden zählen, spürte sie in meinem Herzen ticken, als das brennende Gefühl meinen ganzen Körper überzog, vom Kopf bis zu den Fingerspitzen, bis zu den Zehen: ein Brennen wie von Quecksilber. Die übliche Qual.

    Die Jungs erwachten. Alle gleichzeitig und mit einem Schaudern, das schlimmer war als der Aufprall von Kugeln. Da, ein Toilettenschild. Ich stürmte hinein, zerrte den Mann hinter mir her. Es stank da modrig, nach Urin. Auf dem Boden glänzten schwarzweiße Fliesen, die Türen der Kabinen reichten mir nur bis zur Hüfte. In einer stand ein ausgemergelter Typ, zitternd und stöhnend, nur noch Haut und Knochen, eine Nadel im Arm. Er war die einzige andere Person im Waschraum. Dagegen konnte ich nichts unternehmen. An der Eingangstür gab es kein Schloss. Ich lehnte mich mit der Schulter dagegen und streifte meine Handschuhe ab.
    Der Mann mit dem Gehstock knurrte kehlig, aber ich sah ihn nicht an. Ich starrte auf meine Hände. Rauch waberte über meine Haut, darunter pulsierten rote Augen, die noch vor Sekunden die Konturen einer aufwendigen Tätowierung gebildet hatten.
    Mein Pullover wölbte sich über meiner Brust. Ich zog ihn hastig hoch. Silberner Rauch quoll um meinen Körper herum, löste sich von meinen Rippen, meinem Rücken, verdrängte den schwarzen Nebel, der meine Hände bedeckte, und der, wie ich wusste,
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