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Gefaehrtin Der Daemonen

Titel: Gefaehrtin Der Daemonen
Autoren: Marjorie M. Liu
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zur Straße. Mit etwas Glück blieben mir noch fünf Minuten, bevor die Sonne hinter dem Horizont versank. Selbst wenn ich rannte, hätte ich das Hotel nicht mehr rechtzeitig erreichen können, aber das hier war eine Großstadt - es musste doch irgendwo in der Nähe einen öffentlichen Waschraum geben. Ein Parkhaus vielleicht. Ein Loch im Boden oder einen Spalt hinter einem Müllcontainer. Irgendeinen Ort, an dem ich mich verstecken konnte, wenn die Jungs aufwachten.
    Der Mann auf der anderen Straßenseite warf dann alle Pläne über den Haufen.
    Er fiel mir nur auf, weil ich mich noch einmal nach den Zombies umdrehte. Sie beobachteten mich nicht mehr, sondern starrten allesamt, selbst das Kind, das von seiner ahnungslosen Mutter weitergezerrt wurde, mit intensiven, gierigen Blicken auf einen Punkt, der sich hinter meiner Schulter befand. Ich ging ein paar Schritte weiter, bevor ich ihnen den Rücken zukehrte und die Menschenmenge hinter mir musterte.
    Den Mann bemerkte ich in dem dichter werdenden Regen. Die Welt war düster, grau, durchsetzt mit grellen Autoscheinwerfern und glänzendem Asphalt; die einzigen Farbtupfer lieferten die Kleidung und die erleuchteten Fenster einiger umliegender Restaurants. Der Mann war ein Mensch. Jedenfalls umgab ihn keine dunkle Aura.

    Trotzdem fiel er auf. Warum, das kann ich nicht erklären, aber er wirkte wie ein Wolf in einem Rudel von Chihuahuas. Seine regennassen braunen Haare hingen über den Kragen der offenen blauen Windjacke. Darunter trug er ein weites Flanellhemd und ein T-Shirt. Seine Jeans wirkten alt, die Arbeitsstiefel noch älter. Sein Gesicht schien mir zu kantig, um es hübsch zu nennen. Aber er war groß und sehr muskulös, wirkte jugendlich, war vielleicht in den Dreißigern. Er stützte sich auf einen geschnitzten Gehstock und hatte einen Rucksack über eine Schulter gehängt.
    Vor ihm saß ein obdachloser Mann auf einem Stück Pappe. Über seinen ergrauten Kopf und das Bündel mit seinen Habseligkeiten hatte er eine blaue Plastikplane gespannt. Sein Gesicht verbarg sich im Schatten, doch ich hatte scharfe Augen: Ich sah den grimmigen Mund - der sich erst entspannte, als sich der Mann mit dem Gehstock neben ihn hockte. Sie bewegten die Lippen, unterhielten sich wohl, nickten auch, gestikulierten mit den Händen, vermutlich lamentierten sie über das Wetter. Es wirkte vertraut, schlicht. Die beiden kannten sich.
    Der Mann stellte den Stock zur Seite, griff in den Rucksack. Er holte eine Flasche Wasser sowie eine weiße Schachtel heraus und reichte sie dem Obdachlosen. Der Alte klemmte sich beides zwischen die Beine. Und lächelte.
    Der Jüngere nahm den Gehstock und erhob sich leicht schwankend. Er blickte über die Straße, musterte kurz die Menschenmenge auf dem Markt und ging dann unter den golden erleuchteten Arkaden, die sich hinter meinem Rücken befanden, weiter. Sein prüfender Blick schien zu flackern, als er die Zombies entdeckte. Als er aber mich sah, blieb er wie angewurzelt stehen.
    Er starrte mich an, als wäre er über meinen Anblick verblüfft, als kennte er mich, als hätten wir eine gemeinsame Geschichte.

    Ich konnte meinen Blick nicht von ihm losreißen. Ich schien zu fallen, ich fiel, doch der Boden unter meinen Füßen war solide, meine Knie waren fest; das alles spielte sich in meinem Kopf ab - nur dort, aber ich konnte nicht anders. Es waren seine Augen. Die Wärme, die sie ausstrahlten.
    Der Augenblick hielt nicht an. Um mich herum gab es Unruhe; die Zombies rotteten sich in der kleiner werdenden Menge zusammen. Dunkle Auren rieben sich aneinander. Die Jungs bewegten sich drängender auf meiner Haut, schälten sich ab, als die Sonne hinter den Wolken am Horizont verschwand.
    Ich musste hier weg. Und zwar schleunigst.
    Die Zombies hatten nur Augen für den Mann. Der kleine Junge war verschwunden. Eine ältere Frau tauchte auf. Sie trug schwarze Seide, ihr Blick löste ein seltsames Gefühl aus: wie Fingernägel, die über eine Tafel kratzen; ihre Lippen waren so rot, als hätte sie Blut aus dem Meer auf der anderen Seite des Gefängnisschleiers getrunken. Ich fragte mich, wie viel wohl von dem Menschen in ihr übrig sein konnte, nachdem der Dämon in sie gefahren war, ob ihr Verstand vor Qualen schrie.
    Sie öffnete die Handtasche und hielt sie so, dass ich die Waffe darin sehen konnte. Ich war nicht sonderlich beeindruckt. Ich hätte Lust gehabt, die Waffe zu nehmen und ihr in den faltigen Schlund zu rammen. Jeder Zombie - jeder Dämon -
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