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Gefaehrtin Der Daemonen

Titel: Gefaehrtin Der Daemonen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Jungs in ihrer letzten Nacht nicht beschützt. Ebenso wenig wie ihre Mutter. Oder deren Mutter oder irgendeine Mutter in unserer Familie. Am Ende ging es nur ums Fortbestehen. Um ihr Überleben.
    Grant betrachtete mich. Das ist die längste Unterhaltung, die ich in den letzten fünf Jahren mit jemandem geführt hatte. Und vermutlich der größte Fehler meines Lebens.
    Er sah die Jungs an. Sein Blick glitt über ihre Gesichter, die sie ihm zugewendet hatten. Ich versuchte, sie so zu sehen, wie er sie vermutlich wahrnahm. Nur bin ich mit ihnen aufgewachsen, und nichts an ihren Körpern oder ihren Persönlichkeiten konnte mich noch überraschen.
    »Sind Sie so weit?«, fragte ich ihn. Am liebsten wäre ich schreiend weggelaufen. »Kann ich Sie vielleicht irgendwohin bringen?«

    »Verschwinden wir hier erst mal«, schlug Grant vor.
    Ich griff nach der Tür. Er hielt mich zurück. Seine Hand war warm.
    »Danke«, sagte er leise. »Ich weiß nicht, warum Sie mich gerettet haben, aber - danke.«
    »Danken Sie mir noch nicht«, erwiderte ich liebenswürdig. »Bis morgen früh könnten Sie jederzeit sterben.«
    »Sie sind eine wahre Optimistin.«
    »Klar«, erwiderte ich bitter. »Wenn ich das nicht wäre, würde ich längst nicht mehr hier stehen.«
    Hinter uns klapperte eine Kabinentür. Der graugesichtige, ausgemergelte Typ schlurfte heraus. Eine Blutspur lief seinen Arm hinunter, der von Beulen übersät war. Er sah erst uns an, dann die Männer auf dem Boden und anschließend glitt sein Blick zu den Jungs.
    »Verdammt!« Er rieb sich die Augen.
    »Verschwinden Sie hier«, befahl ihm Grant. »Und zwar direkt nach uns. Sie wollen sicher nicht dabei sein, wenn irgendjemand diese Männer hier findet.«
    Der Mann nickte. Hoffentlich hörte er auf Grant.
    Ich öffnete die Tür. Rohw spähte hinaus und klackerte mit den Klauen.
    Wir verschwanden. Schleunigst.
     
    Mit Dämonen zu reisen war gar nicht so schwierig, wie man vielleicht erwarten könnte. Es hing natürlich von den Dämonen ab. Meine Jungs waren Experten im Schattenspringen. Glücklicherweise bot ihnen das spärlich erleuchtete Untergeschoss von Pike Place Market viele Möglichkeiten, ihre Fähigkeit unter Beweis zu stellen.
    Zee, Aaz und Rohw sprangen in den erstbesten dunklen Schatten - eine schmutzige Ecke, wo sich Abfall sammelte: Wasserflaschen,
Spritzen, Bonbonpapier. Eben waren sie noch hier, in der nächsten Sekunde waren sie schon verschwunden. Verschluckt von den Schatten. Dek und Mal blieben bei mir, versteckten sich in meinen Haaren. Sie drückten sich mit wohligem Schnurren an meine Haut, eingerollt wie sehr kleine, bewegliche Katzen.
    Grant beobachtete das Verschwinden der Jungs, auf seinen geschnitzten Holzstock gestützt. »Interessant.«
    »Sie sind ein Meister der Untertreibung«, sagte ich. »Es sei denn, Ihr Leben ist seltsamer, als Sie bislang zugegeben haben.«
    »Seltsam genug. Wo sind sie nun?« »Ich weiß es nicht. Sie machen kleine Sprünge, von einem Schatten zum nächsten. Wenn wir die Straße erreichen, können sie, solange es dunkel ist, neben uns herlaufen, ohne dass irgendjemand sie sieht.«
    »Interessant«, wiederholte er und durchbohrte mich mit einem kurzen bedeutsamen Blick. »Das verrät aber immer noch nichts über Sie.«
    »Da gibt es auch nicht viel zu verraten.« Ich stieg die Treppen hinauf. Grant folgte mir nach einem Augenblick. Dafür, dass er humpelte, bewegte er sich erstaunlich schnell. Er wirkte zu kräftig für diesen Gehstock, aber sein schwaches rechtes Bein war nicht gespielt. Ich deutete auf den Stock. »Ein Unfall?«
    »Nein«, antwortete Grant. »Das überhaupt nicht.«
    Bevor ich ihn fragen konnte - und bevor ich mich wundern konnte, dass ich ihn fragen wollte - hörte ich das Rauschen eines Sprechfunkgeräts. Wir befanden uns immer noch auf der Treppe, hatten die oberen Etage noch nicht ganz erreicht. Das Funkgerät war auf Polizeifunk eingestellt. Ich hörte gedämpfte Stimmen, die sehr ernst klangen. Irgendwo in der Nähe heulten Sirenen.
    Grant warf mir einen Blick zu. »Eigentlich bin ich hier doch
das Opfer. Also, wieso fühle ich mich dann wie ein Krimineller?«
    »Schuldkomplexe sind eine unangenehme Angelegenheit, Mr. Cooperon.«
    »Nennen Sie mich Grant.«
    Ich ignorierte ihn. »Sie haben die Wahl. Wenn Sie zur Polizei gehen wollen, dann gehen Sie ruhig. Erzählen Sie denen, dass Sie dabei waren.«
    »Wirklich? Einfach so?«
    »Sie sind doch nicht mein Gefangener.«
    »Nein«, stimmte er zögernd
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