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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis
Autoren: Chiara Strazzulla
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einmal unvermittelt um. Lyannen starrte ihn aus der Badewanne heraus an. Ein kalter Blick durch den Dampf des Bades. »Du hast keine Vorstellung davon, wie sehr es mich schmerzt, dir diese Dinge zu sagen«, schloss er. »Aber das hier ist einer der Fälle, in denen du die Welt nicht verändern kannst. Und die Welt lässt es nicht zu, dass Eileen und du euch lieben dürft. Denk darüber nach, Lyannen.«
    Vandriyan ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Er hätte es keinen Moment länger dort ausgehalten. Wäre er länger geblieben, hätte er schließlich zugeben müssen, dass Lyannen recht hatte, dass ihre Welt irgendwie verändert werden musste und dass die Erbfolge des Reiches im Grunde bedeutungslos war.
    Aber das konnte er nicht eingestehen.
    Er konnte es nicht und er durfte es nicht.

ZWEI
    D AS KLEINE FENSTER des Saales in der Weißen Residenz, das auf den großen Park ging, stand weit offen. Drinnen tagte der Hohe Rat in geheimer Sitzung, der König und die Feldherren unterhielten sich dort gewiss über irgendwelche äußerst bedeutenden Angelegenheiten. Höchstwahrscheinlich ging es dabei um den Krieg. Das Ganze musste wirklich wichtig sein, weil die beiden Wachen, die normalerweise vor den Privatgemächern des Königs standen, nun bereits am Anfang des Korridors postiert waren, der zum Saal führte. Doch neben dem Fenster stand kein Wachposten. Es war klein, spitzbogig, hatte dunkle Fensterläden und davor war eine breite Fensterbank aus Marmor angebracht. Es befand sich in nicht allzu großer Höhe, und niemand schien sich Gedanken darüber zu machen, dass es weit offen stand, da es hinter den immergrünen Kronen der rund um die Residenz gepflanzten Bäume verborgen lag. Auf der Fensterbank saß eine Blaumeise, pickte auf der Suche nach Essbarem auf dem grauen Marmor herum und kümmerte sich nicht um die wichtigen Angelegenheiten, die gerade im Sitzungssaal besprochen wurden.
    Eine leise und aufgeregte Stimme unterbrach ziemlich abrupt ihre friedliche Stille. Die Blaumeise flatterte auf, genau in dem Moment, als sich ein Blondschopf vorsichtig unter die Marmorplatte schob, während die Stimme im ärgerlichen Flüsterton weiterschimpfte:
»Verflucht noch mal, Elfhall, schieb mich höher! Aber langsam! Hast du eine Vorstellung davon, was ich mir alles brechen kann, wenn du mich fallen lässt?«
    »Sich das vorzustellen, ist nicht weiter schwierig.« Elfhall von Nuna schnaufte, während er den Freund höher schob. »Aber eins muss ich noch wissen, Drymn:Was meinst du, wie viel wiegst du wohl?«
    »Ein paar Kilo weniger als du bestimmt, alter Freund«, sagte Drymn und näherte sich vorsichtig dem Fenster. »Noch etwas höher, Elfhall, ich sehe immer noch nichts.«
    »Noch etwas höher, bitte!« schnaubte Elfhall. »Mach es doch selbst, wenn du kannst.«
    »Warte mal kurz, mir ist da gerade eine Idee gekommen:Wenn ich mich auf deine Schultern knie, müsste ich dort raufkommen.«
    Von einem Ast der nahen Steineichen aus beobachtete die Blaumeise verwirrt die Szene. So etwas sah man gewiss nicht jeden Tag an einem so ehrwürdigen Ort wie der Weißen Residenz, und man konnte sich gut vorstellen, dass es weder den Wachsoldaten auf dem Flur noch den Ratsmitgliedern im Saal gefallen hätte, hätten sie denn gewusst, was sich da gerade vor ihrem Fenster abspielte. Elfhall von Nuna, ein kräftig gebauter junger Ewiger, stand unter dem Fenster und hatte ein paar Probleme, sein Gleichgewicht zu halten, während er den ebenfalls schwankenden, dafür aber wesentlich schlankeren Drymn nach oben stemmte. Der legte nun eine kurze akrobatische Einlage hin, um sich auf die Schultern seines Untermannes zu knien, damit er durch das Fenster spähen konnte. Zwischen den Blumen des Parks vor ihnen verbargen sich zwei weitere junge Altersgenossen, von denen einer leicht als Lyannen, der Halbsterbliche, zu identifizieren war, und beobachteten die Bemühungen der Freunde, wobei sie hin und wieder leise aufstöhnten. Sie trugen alle vier die Uniform der gleichen Militärakademie.
    »Hört auf euch zu streiten, Jungs, sonst erwischen sie uns noch«,
sagte Lyannen und beendete damit ihr Geplänkel. Zwei wütende Augenpaare durchbohrten ihn. Lyannen schien das nicht weiter zu berühren. »Also, Drymn, was passiert da drin?«, fragte er.
    Drymn blickte wieder nach oben. »Eigentlich sollte ich dir jetzt gar nichts mehr sagen«, antwortete er und tat so, als wäre er beleidigt. »Aber wie auch immer: Der König und die Feldherren
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