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Gefährliches Geheimnis

Gefährliches Geheimnis

Titel: Gefährliches Geheimnis
Autoren: Anne Perry
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Schlagzeilen von Garibaldis Feldzug in Neapel. In Amerika hatte es seit dem blutigen Zusammenstoß in Bull Run vor zweieinhalb Monaten keine große Schlacht mehr gegeben, so dass Amerika derzeit nicht in den Schlagzeilen war.
    Niemand zollte dem Burschen die geringste Aufmerk- samkeit. Die wenigen Zuschauer, die keinem dringenden Geschäft nachgingen, lauschten dem Ausrufer, dessen Unterhaltungswert sehr viel höher war.
    »Doppelmord in der Acton Street!«, lautete sein Sing- sang. »Zwei halb nackte Frauen mit gebrochenem Genick im Atelier eines Künstlers aufgefunden! Bleiben Sie ein paar Minuten stehen, und ich erzähle Ihnen alles darüber!«
    Ein halbes Dutzend Menschen folgte seiner Einladung, und Münzen klimperten in seinem Becher.
    Runcorn fluchte noch einmal und stampfte weiter, schob sich zwischen einem großen städtischen Gentleman in Nadelstreifenhosen, der rot wurde, weil er sich dabei
    ertappt fühlte, dass er dem Klatsch lauschte, und einem dünnen Büroangestellten, der eine Aktentasche umklam- merte und nur die Aufmerksamkeit des Schinken- sandwich-Verkäufers erregen wollte, hindurch.
    »Sehen Sie, was ich meine?«, fragte Runcorn wütend, als sie am Leichenschauhaus ankamen und die Treppe hinaufgingen. »Die Geschichte ist in aller Munde, bevor wir ein einziges Wort darüber haben verlauten lassen! Scheint sich mit der Atemluft zu verbreiten.« Er schob die Tür auf, und Monk folgte ihm hinein und atmete den süß-sauren Geruch des Todes ein, der durch Karbol und feuchte Fliesen noch verstärkt wurde. Die Anspannung in Runcorns Gesicht verriet Monk, dass es ihm ähnlich erging.
    Der Polizeiarzt war ein stämmiger Mann mit einer Stimme wie Samt. Er schüttelte den Kopf, sobald er Runcorn erblickte.
    »Zu früh«, sagte er und winkte ab. »Kann Ihnen nicht mehr sagen als heute Morgen. Halten Sie mich für einen Zauberer?«
    »Wollen nur einen Blick draufwerfen«, antwortete Runcorn und ging an ihm vorbei zu der Tür am anderen Ende des Raums.
    Der Arzt betrachtete Monk neugierig und zog eine
    Augenbraue so hoch, dass sein Gesicht ganz schief wurde. Runcorn ignorierte ihn. Er erklärte nichts. »Kommen
    Sie«, sagte er schroff zu Monk.
    Monk schloss zu ihm auf und betrat den Raum, in dem die Leichen aufbewahrt wurden, bis sie dem Leichen- bestatter übergeben werden konnten. Er musste sein ganzes Berufsleben hindurch an solchen Orten gewesen sein, obwohl er sich nur an die letzten fünf Jahre erinnern konnte. Dieser Gedanke führte dazu, dass sein Magen sich zusammenkrampfte. Er mochte den Gedanken nicht, dass
    er jemals mit Gleichgültigkeit hierher gekommen war. Runcorn ging zu einem Tisch, zog das Laken vom
    Gesicht der Toten und hielt es vorsichtig fest, damit nur
    Kopf, Hals und Schultern zu sehen waren. Sie war groß, ihre Haut glatt und makellos. Ihre Gesichtszüge waren eher hübsch als schön, und die Wangenknochen und Augen- brauen legten nahe, dass sie bemerkenswerte Augen gehabt hatte, ihre Wimpern hoben sich von der blassen Haut deutlich ab. Ihr dickes Haar war lohfarben bis rotbraun und lag unter ihrem Kopf wie ein rostbraunes Kissen.
    »Sarah Mackeson«, sagte Runcorn leise, das Gesicht abgewandt, und seine Stimme kratzte ein wenig, als er versuchte, seine Gemütsbewegung zu verbergen.
    Monk sah ihn an.
    Runcorn räusperte sich. Es war ihm peinlich. Monk fragte sich, welche Gedanken ihm wohl durch den Kopf gingen, was für Vorstellungen er sich vom Leben dieser Frau machte, von den Leidenschaften, die sie bewegt und zu dem gemacht hatten, was sie war. Modelle waren in seinen Augen per definitionem verrufen, und doch bewegte ihr Tod ihn, was immer er auch fühlen wollte. In dem, was von ihr übrig war, war kein Geist und kein Bewusstsein, und trotzdem schien ihre Nähe, die Wirklichkeit ihres Körpers, Runcorn Unbehagen zu bereiten.
    Vor ein paar Jahren hätte Monk ihn dafür womöglich verspottet. Jetzt ärgerte er sich, denn das machte Runcorn ein Stück menschlicher, und Monk wollte an seinem Widerwillen gegen ihn festhalten. Daran war er gewöhnt.
    »Also?«, fragte Runcorn. »Genug gesehen? Man hat ihr das Genick gebrochen. Möchten Sie die blauen Flecke an ihren Armen sehen?«
    »Natürlich«, antwortete Monk schroff.
    Runcorn zog das Laken weg und entblößte ihre Arme,
    achtete aber darauf, dass ihre Brüste verhüllt blieben. Gegen seinen Willen konnte Monk ihn dafür noch besser leiden. Ihm kam nicht in den Sinn, dass es eher aus Prüderie denn aus Respekt geschah. Die Art,
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