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Gefährliches Geheimnis

Gefährliches Geheimnis

Titel: Gefährliches Geheimnis
Autoren: Anne Perry
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von den Lampen auf das Pflaster geworfen wurde.
    Hester raffte ihre Röcke und lief hinter ihm her. Charles war schon fast im Lichtkreis der Laterne angekommen. Trotzdem sah sie den dunklen Haufen am Straßenrand zwischen den Lampen im gleichen Augenblick wie die Männer, nur der voluminöse Stoff um ihre Füße hinderte sie daran, so schnell wie diese dort zu sein.
    Monk ließ sich neben der Gestalt auf die Knie fallen, aber in dem wegen des Nebels unbeständigen Licht konnte er außer der aschgrauen Blässe ihres Gesichts kaum etwas
    erkennen.
    »Imogen!«, schrie Charles, der fast zusammenbrach, und griff nach ihr. »O Gott!« Er riss seine Hand zurück. Sie war mit einer dunklen, klebrigen Flüssigkeit beschmutzt. Er versuchte noch einmal, etwas zu sagen, aber er konnte nur noch um Atem ringen.
    Hester spürte, dass ihr das Herz in der Kehle klopfte, aber es war zu dunkel, um etwas zu erkennen und zu helfen. Sie drehte sich zur Straße um und stand auf. »Kutscher!«, rief sie, und ihre Stimme war hoch und dünn wie ein Schrei.
    »Bringen Sie die Kutschenlampe! Schnell!«
    In dem Nebel und der Dunkelheit schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis sie die Lampe auf sich zuwanken sah, aber in Wirklichkeit dauerte es nur einen kurzen Augenblick. Der Kutscher kam angelaufen und hielt die Lampe hoch über den Körper, der auf dem Boden lag.
    Charles keuchte und stieß ein entsetztes Schluchzen aus. Selbst Monk stöhnte leise. Imogen lag mit grauem Gesicht da, ihr ganzer Körper war von der Taille aufwärts scharlachrot vor Blut.
    Der Kutscher atmete zischend ein, und die Lampe in seiner Hand schwankte.
    Hester nahm allen Mut zusammen, um Imogen anzu- fassen, nach der Wunde zu suchen und zu sehen, ob sie etwas tun konnte. Tränenblind tastete sie nach Imogens Hals und zog ihren Kragen auf. Ihre Finger berührten warme Haut, und sie ertastete deutlich den Puls.
    »Sie lebt!«, sagte sie. »Sie lebt!« Dann wurde ihr sofort bewusst, wie dumm das war. Überall war Blut, scharlach- rotes arterielles Blut. Imogens ganze Jacke war vorne damit durchtränkt. Aber wo war die Wunde? Hatte es überhaupt einen Sinn, danach zu suchen, wenn sie schon dermaßen viel Blut verloren hatte?
    Mit zitternden Fingern zog und riss sie in dem schwankenden Licht der Kutschenlampe an den Ver- schlüssen, bis Monk ihr half und Imogens Jacke zerriss. Darunter, auf Imogens weißer Bluse war nur ein einzelner leuchtender Fleck.
    Hester hörte Charles aufschluchzen.
    Weniger Blut … keineswegs mehr! Das Blut war von außen gekommen! Es war nicht Imogens Blut! Um letzte Sicherheit zu gewinnen, zog sie die Bluse ganz aus dem Rockbund heraus und schob die Hand darunter. Da war überhaupt kein Blut, keine Wunde in der weichen Haut.
    Warum war Imogen dann bewusstlos? Schnell schob sie die Kleider wieder herunter und wickelte Imogen gut ein.
    »Mäntel!«, befahl sie. »Gebt mir eure Mäntel, um sie zuzudecken!« Monk und Charles zogen sofort ihre Mäntel aus und reichten sie ihr, während der Kutscher Mühe hatte, das Licht hochzuhalten und gleichzeitig seinen Mantel auszuziehen.
    Hester tastete vorsichtig nach Imogens Hinterkopf, voller Angst, dort gebrochene Knochen, noch mehr Blut oder eine weiche Einkerbung im Schädel zu finden, aber sie ertastete nur eine Schwellung. Ihr Herz klopfte immer schneller, ihr Mund war trocken, während sie die letzten Zentimeter kontrollierte. Immer noch keine gesplitterten Knochen.
    »Sie ist mit dem Kopf aufgeschlagen«, sagte sie heiser.
    »Aber ihr Schädel scheint unverletzt.« Sie sah den Kutscher an. »Können Sie sie nach Hause bringen? Jetzt gleich?«
    »Ja! Ja, selbstverständlich!«, sagte er schnell. »Aber was ist mit dem vielen Blut, Miss? Wenn sie nicht verletzt ist
    … wer dann?«
    Charles stieß einen zitternden Seufzer aus.
    Monk trat vor, nahm dem Kutscher die Lampe ab und hielt sie hoch. Hester entdeckte als Erste den grünen
    Schirm neben dem Brückengeländer auf dem Boden. Er war zusammengerollt, die lange scharfe Spitze voller Blut.
    »O Gott!«, stöhnte Charles entsetzt.
    »Pendreigh …«, keuchte Monk. »Warum?«
    »Er muss sehr schwer verletzt sein.« Hester versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren. Was auch immer passiert war, irgendjemand war sehr schwer verletzt.
    »Für Imogen kann ich nichts mehr tun«, sagte sie, stand auf und wandte sich an Charles. »Bring sie nach Hause, halt sie so warm wie möglich, und wenn sie zu sich kommt, versuche, ihr ein bisschen Kraftbrühe einzuflößen.
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