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Gefährlicher Sommer

Titel: Gefährlicher Sommer
Autoren: Bastei Lübbe
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fest an, nicht abbruchreif wie sonst beinahe alles in diesem Haus. Es würde sie aushalten.
    Ich müsste nach draußen auf das Fensterbrett steigen, überlegte Diane, das Rohr umgreifen und mich hinüberschwingen, das Rohr mit den Beinen umklammem wie ein Affe ... es müsste gehen ..., aber wenn ich es nicht schaffe? Wenn ich abstürze?
    Vorsichtig kletterte sie auf das Fensterbrett und trat nach draußen, wobei sie sich krampfhaft am Fensterrahmen festhielt. Sobald sie nach unten guckte, wurde ihr schwindelig. Starr hielt sie die Augen geradeaus gerichtet und versuchte sich einzureden, sie stehe auf sicherem Boden. Vor ihr befand sich das Rohr, direkt vor ihr, zum Greifen nah.
    Ich kann nicht, dachte sie verzweifelt. Es war genauso wie in der Sportstunde, wenn sie an die Reihe kam, über den Bock zu springen. Noch während sie darauf zurannte, wusste sie, dass es nicht klappen würde, und vor lauter Angst verlor sie so viel Schwung, dass es schließlich wirklich nicht ging, und die Sportlehrerin erschöpft sagte: »Der Nächste, bitte!«
    Es würde auch diesmal nicht gehen. Sie würde zu wenig Schwung nehmen und wie ein Mehlsack zu Boden plumpsen.
    »Dein Problem ist, dass du nicht an dich glaubst, Diane«, hatte Angie immer gesagt. »Du hast zu wenig Selbstvertrauen. Du musst endlich einmal lernen, dass du alles genauso gut kannst wie die anderen. In dem Moment, wo du überzeugt bist, dass es geht, wird es auch gehen!«
    Ich kann es nicht, dachte sie wieder, ich kann es einfach nicht!
    Während sie noch so dastand, auf dem Fensterbrett zwischen Himmel und Erde schwebend, hörte sie plötzlich Schritte. Jemand kam die Treppe hinauf, direkt auf ihre Zimmertür zu.
    Sie überlegte keine Sekunde mehr. Sie sprang.
    Sie hing tatsächlich wie ein Affe am Rohr, hielt das glatte Metall mit Händen und Füßen umklammert und versuchte, vorsichtig zur Erde zu rutschen. Das misslang. Diane rutschte viel zu schnell, spürte brennende Schmerzen an den Innenseiten ihrer Hände. Über sich vernahm sie einen Wutschrei.
    »Das Biest haut ab! Bleib stehen! Ich warne dich, bleib stehen!«
    Er brüllte etwas auf Spanisch. Diane war schon unten angekommen und rieb sich ihren Knöchel. Beim Aufkommen hatte sie das Gefühl gehabt, alle ihre Knochen würden sich ineinanderschieben, aber zu ihrer Verwunderung konnte sie tatsächlich noch stehen und sogar laufen. Sie musste so schnell wie möglich im Wald untertauchen. Gleich würden die Männer aus dem Haus stürzen und versuchen, sie festzuhalten.
 
    Der Nebel, vor dem sie sich so gefürchtet hatte, wurde ihr Verbündeter. Er verschluckte jedes Geräusch, jedes Bild. Diane verschwand in der weißen Wand, und es war ein Gefühl, als sei sie allein auf der Welt.
    Sie lief querfeldein, mitten durch den Wald hindurch. Sie hatte ohnehin die Orientierung verloren, daher brauchte sie auch nicht lange zu überlegen, in welcher Richtung die Straße lag. Sie konnte nur hoffen, dass sie irgendwann in eine zivilisierte Gegend käme.
    Äste schlugen ihr ins Gesicht, Dornenranken gegen ihre Beine. Der Knöchel tat scheußlich weh, die aufgerissenen Hände brannten. Eine tödliche Stille herrschte ringsum, eine Stille, hinter der es keine Welt und kein Leben zu geben schien. Jeder Zweig, jeder Busch tauchte erst in der Sekunde auf, in der Diane ihn auch schon spürte. Im Nebel war nichts vorhersehbar, nichts schien wirklich zu sein.
    Diane blieb stehen und atmete schwer. Sie musste ein paar Minuten verschnaufen, außerdem tat ihr jeder Schritt so weh, dass ihr bereits die Tränen die Wangen hinunterliefen. Sicher war der Knöchel verstaucht, womöglich sogar angeknackst. Wie bei Nina nach jenem verhängnisvollen Sprung, mit dem das ganze Drama begonnen hatte.
    Aber auf einmal, während sie da so stand und keuchte, dachte sie: Ich habe es geschafft! Ich habe es geschafft zu entkommen! Ich bin ein Regenrohr hinuntergerutscht, und in letzter Sekunde diesen Gangstern entkommen! Genau wie es Angie gemacht hätte!
    Nun, da die größte Gefahr vorüber war, konnte sie ihre Gedanken sammeln. Sie war kreuz und quer gelaufen, aber manchmal hatte sie gemerkt, wie es bergab ging. Dann hatte sie die Richtung gewechselt und war wieder in die Höhe gestiegen, ohne darüber nachzudenken, was sie tat. Nun überlegte sie: Sie waren in der vergangenen Nacht über Serpentinenwege zum Haus gekommen. Wenn sie nun also einfach geradewegs den Berg hinunterliefe, müsste sie früher oder später auf eine Straße treffen. Sicher
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