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Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte
Autoren: Haruki Murakami
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bestimmten Ablauf zu halten. Um beim Sex anzukommen, mußte man zuerst das Kleid des Mädchens aufhaken. Und zwischen Häkchen und Sex lag ein Prozeß, in dessen Verlauf zwanzig - vielleicht gar dreißig - heikle Entschlüsse und Entscheidungen getroffen werden mußten.
    Zunächst einmal mußte ich mir irgendwie Kondome beschaffen. Genaugenommen stellte das zwar erst ein späteres Element der vorgeschriebenen Ereigniskette dar, aber auftreiben mußte ich welche. Man konnte schließlich nie wissen, wann ich sie brauchen würde. Aber ich konnte nicht einfach in die Apotheke schlendern, einen Schein hinblättern und mit einer Schachtel Kondome hinausspazieren. Ich würde nie für etwas anderes durchgehen als für das, was ich war: ein Oberschüler - ganz zu schweigen davon, daß ich viel zu feige war, um auch nur den Versuch zu wagen. Ich hätte es mit einem der Automaten probieren können, die es bei uns in der Siedlung gab, aber wenn mich jemand dabei ertappt hätte, wäre die Kacke ganz schön am Dampfen gewesen. Drei, vier Tage lang rang ich mit diesem Dilemma.
    Am Ende war die Lösung viel einfacher als erwartet. Ich wandte mich an einen frühreifen Freund, der bei uns als Experte in solchen Dingen galt. Die Sache ist nämlich die, sagte ich, ich bräuchte ein paar Kondome, wo krieg ich die her? Kein Problem, Mann, meinte er cool. Ich kann dir eine ganze Schachtel besorgen. Mein Bruder hat eine ganze Wagenladung davon aus dem Katalog bestellt. Keine Ahnung, wozu er so viele gekauft hat, aber sein Schrank ist voll mit den Dingern. Eine Schachtel weniger bringt ihn nicht um. Stark, jubelte ich. Am nächsten Tag brachte er die Kondome in einer Papiertüte mit in die Schule. Ich spendierte ihm das Mittagessen und bat ihn, die Angelegenheit für sich zu behalten. Kein Problem, sagte er. Natürlich konnte er sich dann doch nicht beherrschen und erzählte ein paar Leuten, ich sei ins Kondomgeschäft eingestiegen. Die erzählten es ein paar an deren weiter, und die Sache machte in der Schule die Runde, bis schließlich auch Izumi davon erfuhr. Nach dem Unterricht bat sie mich, mit ihr auf die Dachterrasse der Schule zu gehen.
    »Hajime, stimmt das, was ich gehört habe, daß du von Nishida Kondome bekommen hast?« fragte sie. Das Wort Kondome ging ihr nicht gerade glatt von der Zunge. Aus ihrem Munde klang es wie der Name einer ansteckenden Krankheit.
    »Äh ... schon.« Ich suchte krampfhaft nach den richtigen Worten.
    »Aber das hat eigentlich gar nichts zu bedeuten. Ich hab mir einfach nur gedacht ... also, daß es vielleicht besser wäre, welche zu haben.«
    »Hast du sie dir meinetwegen besorgt?«
    »Nein, nicht direkt«, sagte ich. »Ich war einfach neugierig, wie die Dinger wohl aussehen. Aber wenn's dich stört, geb ich sie ihm zurück oder schmeiß sie weg.«
    Wir saßen auf einer kleinen steinernen Bank in einer Ecke der Dachterrasse. Es sah so aus, als könnte es jeden Augenblick anfangen zu regnen. Wir waren ganz allein. Es war vollkommen still. Ich hatte diese Dachterrasse noch nie so still erlebt.
    Unsere Schule stand auf einem Hügel, und wir blickten ungehindert auf die Stadt und das Meer. Einmal hatten meine Freunde und ich ein paar Schallplatten aus dem Schüler-Rundfunk-Studio mitgehen lassen und sie von der Dachterrasse aus fortgeschleudert. Wie Frisbees waren sie in einem schönen Bogen davongeschwirrt. Sie flogen vergnügt auf die Bucht zu, als sei ihnen für einen flüchtigen Augenblick Leben eingehaucht worden. Zuletzt aber hatte eine von ihnen keinen Auftrieb mehr bekommen und war, unbeholfen trudelnd, wie ein Stein auf den Tennisplatz gefallen, wo ein paar schreckhafte Mädchen aus der zehnten Klasse gerade ihre Aufschläge übten. Für uns hatte das Nachsitzen bedeutet.
    Über ein Jahr war das her, und jetzt saß ich wieder an der selben Stelle und wurde von meiner Freundin wegen dieser Kondome ausgequetscht. Ich hob die Augen und sah einen Vogel, der einen langsamen Kreis in den Himmel ritzte. Ein Vogel zu sein, dachte ich, muß herrlich sein. Vögel haben nichts anderes zu tun, als am Himmel zu fliegen. Mit Empfängnisverhütung brauchen sie sich nicht zu befassen.
    »Magst du mich wirklich?« fragte mich Izumi mit leiser Stimme.
    »Sicher doch«, erwiderte ich. »Natürlich mag ich dich.« Sie schürzte die Lippen und sah mir ins Gesicht. Sie sah mich so lange an, daß ich allmählich verlegen wurde.
    »Ich mag dich auch, weißt du«, sagte sie nach einer Weile.
    Aber, dachte ich.
    »Aber«,
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