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Gefaehrlich begabt

Gefaehrlich begabt

Titel: Gefaehrlich begabt
Autoren: Simone Olmesdahl
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Wahrheit durfte man wohl alle 300 Einwohner des Nordseedörfchens als Nachbarn bezeichnen. Er und Anna waren Freunde, seit sie denken konnte und sie freute sich jedes Jahr, ihn zu treffen. Es gab nichts Romantisches an ihrer Freundschaft, dazu kannten sie sich schon viel zu lange und bisher war Anna sowieso noch nie ernsthaft verliebt gewesen. In wen auch? Aber sie musste gestehen, Kevin sah gut aus. Er wuchs zu einem jungen Mann heran und die hart trainierte Muskulatur stand ihm gut.
    »Hey.« Seine rehbraunen Augen blickten wie immer ein bisschen verträumt durch die Gegend und seine Haare schienen keine Bürste zu kennen. Die Mädels aus dem Dorf standen mit großer Wahrscheinlichkeit Schlange bei ihm.
    »Hi.« Anna lächelte und zog die Tür hinter sich ins Schloss.
    »Bereit für ein Gruselfeuer?«
    Sie nickte.
    Die sommerlichen Lagerfeuer hatten sie zu ihren privaten Gruselstunden auserkoren. Seit sie Kinder waren, erzählten sie sich im Flammenschein die abenteuerlichsten Geschichten, um sich Angst einzujagen. Als sie klein waren, hatte das super funktioniert, und auch jetzt noch besaß es einen gewissen Charme.
    Weil sich an der Feuerstelle aber am Wochenende immer das halbe Dorf versammelte, wuchsen ihre Gruselstunden schnell zur Gemeinschaftsrunde an.
    Nun erzählten sogar die älteren Semester ein paar mystische Legenden am Feuer.
    »Und, wie war dein Jahr?« Die übliche Kevinfrage nach einem Jahr der Abwesenheit.
    »Nicht besonders außergewöhnlich. Ich könnte durchaus eine Spur mehr Action in meinem Leben vertragen. Die 12. Klasse hatte es echt in sich und die meiste Zeit saß ich Zuhause und habe gelernt. Und bei dir?«
    »Ich habe einen Ausbildungsplatz gefunden, nur ein paar Kilometer entfernt. Nächsten Monat geht’s los.«
    »Super!« Anna lächelte. Es war schwer, in der Gegend Arbeit zu finden, wenn er nicht gerade auf einem Fischkutter anheuern oder in die Gastronomie einsteigen wollte. »Als Mechatroniker?«
    Kevin hegte eine Leidenschaft für Autos. Leider besaßen die wenigsten Dorfbewohner eins, sodass es sich kaum rentiert hätte, in der Nähe eine Werkstatt aufzumachen.
    »Ja, ich kann’s selbst noch nicht glauben. Ich sah mich auch schon am Hafen.«
    Schweigend liefen sie eine Weile nebeneinander her. Der Norden zeigte sich um diese Jahreszeit von seiner schönsten Seite, die Landschaft bestach mit satten Farben. Gelbe Felder gingen in knallgrüne Wiesen über und Anna roch bereits das Meer. Sie atmete tief ein und fühlte sich unbeschreiblich frei. Zu Hause in Köln, wo Haus an Haus stand und alles bebaut war, die Hektik einem die Luft zum Atmen nahm, und die Menschen auf der Flucht vor sich selbst zu sein schienen, vermisste sie dieses Gefühl oft.
    »Deine neue Frisur gefällt mir übrigens.« Kevin starrte sie an.
    Ein unbehagliches Gefühl, das sich nicht näher beschreiben ließ, befiel sie. Wieso tat er das? Sie hatte sich die taillenlangen, blonden Haare bis zum Kinn abschneiden lassen, hauptsächlich, um sich von Paps‘ Freundin zu distanzieren. Dieselbe Frisur zu haben wäre schließlich einem Freundschaftsbekenntnis gleichgekommen. Trotzdem irritierte sie Kevins Aussage, normalerweise machten sie einander keine Komplimente. Kevins Gesicht errötete und er wandte schnell den Blick ab.
    Anna versuchte, die unangenehme Situation zu umgehen und die Stimmung wieder aufzulockern. Sie setzte ein Lächeln auf. »Wie geht es deiner Familie?«
    »Wirst du gleich sehen, sie sind schon alle da und zünden das Feuer an.«
    Tatsächlich hatte sich bereits der Großteil des Dorfes am Deich versammelt. Das Meer rauschte und glänzte in einem strahlenden Blau. Normalerweise besaß die See einen Grünstich und verschmolz nicht mit dem Horizont. Heute aber schimmerte sie atemberaubend schön, die leichten Wellen tanzten förmlich. Annas Härchen an den Armen richteten sich auf, als sie plötzlich große Lust überkam, eine Runde mit den Fischen zu schwimmen.
    Die Dorfbewohner bauten fleißig Stühle und Tische auf, das Knistern des Feuers vermischte sich mit heiterem Gelächter und erfüllte die Abendluft.
    Als Kevins Mutter Anna entdeckte, kam sie lächelnd auf sie zu. »Anna, lass dich anschauen!« Sie zog sie herzlich in die Arme. »Dünn bist du geworden.«
    Eigentlich hatte Anna im vergangenen Jahr ein paar Pfund zugenommen, aber sie verkniff sich die Antwort. In ihren Augen litt Anna schon immer an Magersucht wie alle Großstadtmädchen.
    »Nehmt euch was zu trinken.« Eine Nachbarin
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