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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten
Autoren: Lisa Unger
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gelangte man in die Küche. Sie war immer von innen verriegelt. Der lange holzvertäfelte Gang führte zum Büro. Dean näherte sich der Tür und blieb auf der Schwelle stehen. Paul saß am Schreibtisch, den Kopf auf die Hand gestützt, und tippte energisch auf einem Taschenrechner herum.
    »Hey, Paul«, sagte Dean.
    Paul hob den Kopf und lächelte Dean offen an, nicht wie Carol mit ihrem falschen Grinsen.
    »Hallo Dean«, sagte er, »wie geht’s?«
    »Kann mich nicht beschweren. Wie ist das neue Auto?«
    »Wow«, sagte Paul kopfschüttelnd, »ein echter Kracher. Fährt sich fantastisch.«
    Paul besaß einen dieser neuen Dodge Charger, schwarz, mit schwarzer Lederausstattung. Dean hatte den Wagen auf dem Parkplatz hinter dem Haus gesehen. Mann, war das ein Auto! Ob er jemals so einen Schlitten besitzen würde? Er wollte ihn als junger Mann fahren, nicht als alter Knacker, wie Paul. Das Auto kostete an die vierzig Riesen, in Deans Augen eine unfassbare Summe. Er hatte nicht einmal einen Bruchteil. Am liebsten hätte er den schimmernden Lack des Neuwagens mit seinem Schlüssel zerkratzt.
    »Du schuldest mir immer noch eine Probefahrt«, sagte Dean. Er nahm den Raum in Augenschein. Der kaum benutzte Safe war unter dem Schreibtisch. Es gab keine Kameras. Der Umschlag für die Bank lag achtlos hingeworfen neben dem Computer. Dean prägte sich alles genau ein.
    »Keine Sorge, Mann«, sagte Paul. »Irgendwann demnächst.«
    Er wendete sich wieder der Arbeit zu. Dean fühlte sich abgewiesen, und er wurde wütend. Für wen hielten diese Leute sich eigentlich?
    Brad wartete im Auto auf ihn. Er war zappelig. Den Laden noch einmal auszukundschaften war seine Idee gewesen; dabei hatte Dean ihm alles erklärt.
    »Wo ist deine Freundin?«, fragte Brad, als Dean einstieg. Von außen sah Emilys Mustang cool aus, aber von innen war er die reinste Schrottkarre. Die Innenausstattung war kaputt, obwohl Dean versucht hatte, die Ledersitze zu flicken. Es stank nach Zigaretten und Junkfood, weil Dean und Brad geraucht und Essen von McDonald’s geholt hatten.
    »Die ist weg«, antwortete Dean. »Ist wohl auf dem Nachhauseweg.«
    Wieder musste er an den Bus denken. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Einem Typen wie Brad durfte man seine Gefühle nicht zeigen. Brad war wie ein Straßenköter, am besten, er merkte erst gar nicht, dass man Angst hatte oder traurig war. Denn wenn er einmal zubiss, wurde man ihn nicht wieder los. Dean konnte Brads Gesichtsausdruck nicht deuten.
    »Die Tür lässt sich nur von innen öffnen«, sagte Brad. Er öffnete das Handschuhfach und nahm sich Deans letzte Zigarette, die er mit dem letzten Streichholz anzündete. Brad war immer schon ein egoistisches Arschloch gewesen.
    »Woher weißt du das?«, fragte Dean überrascht. »Was, wenn dich jemand beim Schnüffeln beobachtet hat?« Er war in erster Linie gekränkt; Brad vertraute ihm nicht.
    »Wenn deine Kleine nicht drinnen ist«, sagte Brad, »haben wir ein Problem. Wir können nicht einfach durch den Vordereingang reinspazieren. Und wenn doch, wird es hässlich.«
    »Nein«, sagte Dean hastig. Er holte Luft. »Niemand wird verletzt.«
    Brad blies eine Qualmwolke aus und betrachtete seine blutig abgekauten Fingernägel.
    »Dann sorg dafür, dass deine Kleine uns die Tür aufmacht!«
    »Natürlich wird sie das«, sagte Dean.
    Emily hatte von alldem keine Ahnung. Dean hatte selbst nicht gewusst, dass er unbewusst einen Plan geschmiedet hatte, aber Anfang der Woche war Brad aufgetaucht. Er kannte Brad aus Florida und schuldete ihm Geld. Brad hatte angekündigt, dass er eines Tages kommen und abkassieren würde. Offenbar war es nun so weit. Leider war Dean zurzeit pleite. Um genau zu sein: Dean war ständig pleite. Er war pleite auf die Welt gekommen.
    Er bemühte sich ja, rechtschaffen zu leben, aber manchmal hatte sich die ganze Welt gegen ihn verschworen. Für eine Weile hatte er sich auf der Spur gehalten und bei Constance Construction gearbeitet, einer kleinen, erfolgreichen Firma, die hier in der Gegend jeden Bauauftrag an Land zog. Dean hatte seinen Boss Ronny Constance gemocht, der ihm den Job trotz seiner Vorstrafen gegeben hatte.
    »Mir ist dein Vorleben egal«, hatte Ronny damals gesagt. »Mich interessiert nur, wer du jetzt bist. Wirst du pünktlich zur Arbeit erscheinen? Wirst du sorgfältig arbeiten? Wirst du dir Mühe geben? Was meinst du, Dean?«
    Dean war bei der Arbeit auf dem Bau zum ersten Mal im Leben glücklich und zufrieden. In
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