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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Kindergeburtstagsfeiern geht auf eine sorbische Erntedanktradition zurück. Der Hahn, sorbisch »kokot«, kräht hier nicht nur auf dem Mist. Er muss als Opfertier für gutes Wetter sorgen. Den Sorben galt er als Vogel Donars, des Donner- und Gewittergottes. Sein abgeschlagener Kopf wurde zum Schutz vor Feuer und Blitz am Haus befestigt. Eine weniger rabiate Variante sieht die Nutzung eines eisernen Hahns als Wetterfahne vor. Wer in der Niederlausitz die Ernte einbringt, nennt das »kokot machen« – im Gedenken an den Hahn. Wer zur Erntedankfeier einen vom Wagen geworfenen Erntekranz fängt, hat kein Getreidegebinde gefangen, sondern ebenfalls »den Hahn«. Und für das berühmte Topfschlagen wurde in der Erntezeit eine flache Grube ausgehoben. Ein lebender Hahn wurde in die Grube gesetzt und bekam einen Steinguttopf übergestülpt. Ein Dorfjunge durfte nun mit verbundenen Augen und dreimal um sich selbst gedreht nach Hahn und Topf suchen. Zu diesem Zweck bekam er einen Dreschflegel in die Hand, mit dem er auf den Boden eindrosch, und wenn er Glück hatte, den Topf dabei zerschmetterte. Zum Preis bekam er den Hahn, der – selbst, wenn er noch krähen konnte – ein schweres Trauma hatte.

Kartoffel, Hering und Gurke
    In Werder … erhielt (ich) so schlechtes Abendessen und so säuerlichen Wein, daß ich meine Lippen verdrießlich zusammenkniff und mich nüchtern in ein kaltes Bett legte.
    (Ernst Moritz Arndt)
    Hartnäckig hält sich das Gerücht, in Brandenburg verstehe man sich nicht aufs Essen. Das ist falsch. Wir Brandenburger essen gern. Wir essen auch gern viel. Wir verstehen darunter nur ein bisschen was anderes als andere. Und so, wie es uns die Toleranz gebietet, nicht über die Verschwendung jener Esser zu schimpfen, die das Essen völlig zweckentfremden, indem sie sich an der Schönheit der Zubereitung, an der Vielfalt der Zutaten oder der Zuwendung der Köchin erfreuen, erwarten wir, dass man auch unsere Ansichten toleriert: Wir essen, um satt zu werden. Wir essen, weil das zu den Grundinstinkten von Lebewesen gehört. Wir romantisieren das Essen nicht. Wir betrachten es weder als soziales Ereignis, noch als Entdeckungsreise, sondern als das, was es ist: eine Nahrungsaufnahme. Das war für unsere Vorfahren so und für die Vorfahren unserer Vorfahren auch. Damit unterscheiden wir uns nicht von anderen Bewohnern der nördlichen Tiefebene. Gegessen hat man im Reich der Wikinger immer schon eher nach dem Motto: »Wie? Heute kein Nachschlag?« als nach dem Motto: »Welches hervorragende Gewürz haben Sie denn dem sautierten Gemüse im dritten Gang untergehoben?«
    Was den Gaumen berührt, wird mit Bier oder einem Schnäpschen zügig runtergespült, und nicht wie im geschmacksbetonteren Süden erst im Mund noch in Wein eingelegt. Es kommt nicht so sehr auf das Gericht selbst an, sondern auf die Größe der Portion. Aus wenig machen wir viel, und wie wir uns das mit der Feinschmeckerei vorstellen, wird in einer Kochanweisung aus der Niederlausitz deutlich: »Kartoffeln schmecken am besten, wenn man mit ihnen die Sau mästet und dann die Sau verspeist.«
    Ob Schweinebauch mit Kartoffelbrei und sumpfbrauner Soße oder Eisbergsalat, der vom Dressing nur so überflutet wird; eine der geläufigsten Antworten auf die Frage, ob es geschmeckt habe, lautet: »Der Hunger treibt’s rein«. (Mit der Einschränkung, dass in Brandenburg selten Salatteller bestellt werden.) Schließlich waren die Vorfahren einmal arm, und auch wenn heute niemand mehr so arm ist, pflegen wir doch die Angst, nicht satt zu werden.
    Die Gastwirte pflegen diese Angst auch, nur aus der anderen Richtung. Bevor sie die Kartoffeln servieren, zählen sie geschwind ab, wie viele auf den Teller dürfen. Das hat schließlich schon die Ur-Ur-Urgroßmutter der Urgroßmutter so gemacht, auch wenn es zu ihren Zeiten die Kartoffel noch gar nicht gab. Die Sparsamkeit dieser Ur-Vorfahrin zielte mehr aufs Mehl, was die wichtigste Zutat in einer Vielzahl von Speisen war. Es gab Mehlsuppe oder Mehlbrei (Roggenmehl mit Speck), oder Mehl in Form von Brot als Brotsuppe. Zu besonderen Anlässen konnte man sogar eine Biersuppe daraus machen, dann wurde das Mehl mit Bier, Malzbier und kochender Milch gemischt.
    Auch mit Hirse ließ sich einiges anfangen. Milchhirse machte, wer Milch hatte, Krauthirse machten alle. Kraut ging immer. Kraut gab es genug. Der Weißkohl wurde in große Bottiche gefüllt. Die Dorfbewohner kletterten barfuß hinterher und traten solange
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