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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Autoren: Heinrich Steinfest
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Schluck zu sich nehmen kann. Wie der Bergsteiger sich nochmals nach dem Gipfel umsieht, den er nicht besteigen wird. In diesem Umsehen steckt die Würde, in einer nächtlichen Gipfelstürmung die Verzweiflung.
    Einen Abendtrinker gibt es eigentlich nicht wirklich. Es gibt Leute, die am Abend trinken, das schon. Aber sie tun es selten im Bewußtsein der Stunde, des Tagesabschnitts. Sie trinken zum Essen oder zum Reden oder zur Zigarette oder weil sie alleine sind oder weil sie nicht alleine sind, aber ihr Trinken erscheint mir weniger als Basis denn als Hintergrund. Das gilt vor allem für die Weinkenner oder angeblichen Weinkenner, auch wenn sie sich die Weine darreichen lassen wie einen erlegten Feind, den man sodann im Stil eines affektierten Kannibalen verspeist, um sich seine Kraft anzueignen. Aber dies ist Staffage, Mimikry, Parodie.
    Das Abendtrinken ist jedenfalls eine indifferente Angelegenheit. Erst mit späterer Stunde entwickelt die Trinkerei wieder so etwas wie Profil, tritt aus dem Hintergrund hervor, wird wesentlich. Einerseits, weil sich erneut die Frage des Aufhörens stellt (das beste Glas ist wahrscheinlich jenes letzte, welches man noch ganz gut verträgt, bevor man dann eines zuviel erwischt und sich um den ganzen Nutzen bringt), andererseits, weil der Alkohol wieder zur Hauptsache aufsteigt, nicht mehr verstellt wird von Speisen oder von offiziellen Reden oder der Geschäftigkeit, mit der die Anbahnung eines Kontakts zum anderen oder eigenen Geschlecht erfolgt. Die späte Stunde ist die Zeit der Achteln, die auch gerne Fluchtachteln genannt werden, als spreche man von einer Symbiose aus Leben und Tod, von etwas Letztem, aber nicht Endgültigem. Weshalb es ja des öfteren vorkommt, daß nach einem letzten Fluchtachtl ein allerletztes bestellt wird und so weiter. Abgesehen davon, schmeckt der Wein als Achtel sehr viel besser als als Viertel oder als Nullzwei. Der 1 / 8 Liter ist einfach die richtige Menge, Gott weiß warum, so wie die Dreizehn die perfekte Unglückszahl ist und kein Berg neuntausend Meter erreicht (und auch kein Stabhochspringer, was irgendwie beruhigend ist). Die wahrhaftigen Trinker trinken sowieso nur Achteln.
    Stimmt, ich vernachlässige das Bier. Aber es hat nun mal einfach keine Funktion, auch wenn es getrunken wird. Auch Wasser wird getrunken, auch Cola, auch ein toxisches Gebräu, das Menschen angeblich Flügel verleiht, wobei die Fliegerei, die dabei betrieben wird, jenen berühmten Satz von Qualtinger/Bronner zitiert: »I hob zwoar ka Ohnung wo i hinfoahr, aber dafür bin i gschwinder duat.« Nein, all diese Getränke mögen in noch so großen Mengen konsumiert werden, echtes Trinken ist in Österreich allein eine Sache des Weins, vor allem des Weißweins.
    Sollten Sie ein Lokal aufsuchen, in dem keine Achteln serviert werden, sind Sie meiner Meinung nach falsch. Zwei Felder zurück.
    Innerhalb dieser drei oder vier von der Tageszeit her bestimmten Trinkergruppen existieren natürlich weitere Unterscheidungen, die mit der Menge und der Art des Konsumieren Zusammenhängen. Die primitivste Form, die des Vollzeit- wie des Teilzeitsäufers (wobei eine spezielle Spielart des Teilzeitsäufers der Quartalsäufer wäre), verdeutlicht das Unglück des Kontrollverlustes. Jemand fällt in sein Spiegelbild und zerstört es auf diese Weise. Der Vollzeit- oder Teilzeitsäufer ist somit ein verunglückter Spiegeltrinker, woraus sich zwangsläufig eine gewisse Unleidigkeit dieses Typus ergibt. Solange er noch imstande ist, aufrecht zu stehen und halbwegs sein Sprachorgan zu bedienen, tendiert er entweder zur Besserwisserei oder zu einem stark ichbezogenen Lamento. Dabei macht er nicht selten den Alkohol für sein Unglück verantwortlich. Das ist richtig, hat aber auch etwas Rückgratloses. Er ist ein Anhänger von Murphys Gesetz, er riecht das Scheitern, er sieht dauernd Brote, die auf die Butterseite fallen, oder dauernd Brote, auf denen die Butter fehlt, und fühlt sich ständig in der falschen Schlange stehend. Und er fühlt sich selbstverständlich verfolgt. So wie er umgekehrt dauernd oder periodisch hinter dem Wein herjagt.
    Ganz anders der Gewohnheitstrinker, der es wesentlich langsamer angeht, der dem Wein nicht hinterherläuft, weil er ganz gut weiß, daß der Wein eine haushundartige Mentalität besitzt und also von selbst kommt. Der Gewohnheitstrinker strahlt solcherart eine gewisse Ruhe aus, er ist nie ganz nüchtern, aber selten wirklich besoffen. Er hat ein
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