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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Autoren: Heinrich Steinfest
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her begreife. Da wäre zunächst der Vormittagstrinker, ein Mensch, der nicht unbedingt Alkoholiker sein muß, aber darf. Das Vormittagstrinken ist logischerweise eine Domäne der Pensionisten und der auf die lange, wenn nicht endlose Strecke der Arbeitssuche geratenen Personen (eine Schatzsuche ohne Schatz). Der Vormittagstrinker ist der Politisierer unter den Trinkern, er rezipiert die soeben gelesene Zeitung, kümmert sich um das Weltgeschehen, neigt zur Soziologie und zum theoretischen Aufrührertum. Man kann sagen, daß er das Leben nur von seiner taghellen beziehungsweise grellen Seite kennt, da er kaum die Abende erlebt. So weit schafft er es selten. Die einzige Dunkelheit, die er erfährt, ist die Morgendämmerung, die Stunde der Wölfe und der Hähne und der ersten Straßenbahnen sowie der Morgennachrichten, dank derer sich der Vormittagstrinker über jene Dinge informiert, die er am Vorabend – tief in seinem Traum und seinem Rausch begraben – versäumt hat.
    Bitte nicht vergessen, ich beschreibe hier die Reinformen der Trinker.
    Die nächste zu erwähnende ist logischerweise die des Nachmittagstrinkers, worunter sich viele Beamte befinden sowie Menschen, die von irgendeiner Schichtarbeit ins Leben entlassen werden oder sich dank Gleitzeit die Liebhaberei nachmittäglichen Alkoholkonsums erwirtschaftet haben. Die Nachmittagstrinker sind weniger politisch als ihre vormittäglichen Pendants, jedoch weit geselliger, mitunter euphorisch, unter ihnen sind die meisten der von mir so apostrophierten »Spiegeltrinker«, viele davon könnte man auch als Freilandtrinker bezeichnen, da sie gerne im Außenbereich sitzen, beim Heurigen, in Schanigärten, in Gastgärten, auf den Terrassen der Berghütten oder jenen Aufbauten, die an Seeufern installiert werden, Schanzentische für ein Schauen übers Wasser. Die Freilandtrinker sind naturgemäß die fröhlichsten, sie verfügen über eine eingebildete Nähe zur Natur, weshalb sie besonders gerne den Naturcharakter des Weins betonen. Sie halten sich niemals für betrunken, maximal von den Natureindrücken, aber nicht vom Wein, den sie als Lebenselixier und Jungbrunnen definieren. Sie fahren gerne mit dem Auto und pflegen einen charmanten Umgang mit den örtlichen Polizeiorganen.
    Unter den Nachmittagstrinkern sind auch wieder viele Pensionisten, in der Regel aber die bessersituierten, welche ihre Vormittage dem Sport und ähnlicher Esoterik widmen. Der Nachmittagstrinker, der gerne zum Heurigen geht, ist bekanntlich ein wenig laut. Er muß seine Fröhlichkeit dem Universum mitteilen, mitunter singend, wenngleich das nach meinen Erfahrungen eins von den Klischees darstellt, die sich heutzutage nur noch selten materialisieren. Wenn Gesang, dann scheint er nicht spontan, sondern organisiert.
    Zum Unterschied zu den zwangsläufig eher gesund anmutenden Freilandtrinkern gibt es Nachmittagstrinker, welche kategorisch, fast militant, den freien Himmel oder auch nur die frische Luft meiden und selbst bei schönstem Wetter die Gaststube aufsuchen. Auch sie neigen zur Geselligkeit, sind aber weniger laut, man könnte sagen, weniger bacchantisch, dafür intellektueller, was nicht heißt, daß sie weniger trinken. Sie reden gerne über den Fußball und tun dies kenntnisreich und analytisch, die Frauen nicht weniger als die Männer (wobei Frauen eher zu den Freilandtrinkern gehören, was tausend gute Gründe haben mag, nicht zuletzt die positive Förderung des eigenen Teints).
    Die klassische Frage des Nachmittagstrinkens ist natürlich die nach dem Aufhören. Die Überlegung also, wann es genug ist und ob man etwa in den Abend hineintrinken sollte oder nicht. Wie Bergsteiger, die bei Anbruch der Dämmerung umkehren oder eben nicht umkehren. – Ich habe dies einmal so formuliert: »Er mußte sich erst wieder an die Wiener Weißweinsitte gewöhnen, an das Nachmittagstrinken, welches dazu führte, daß alles, was dann im Laufe des Abends geschah – vorausgesetzt, man versoff diesen Abend nicht einen feinen Glanz besaß. Und etwas ganz leicht Unwirkliches. Wie man das von Papageien kennt, die die ganze Zeit in der üblichen Weise vor sich herplappern, um dann plötzlich etwas zu sagen wie › Ich liebe Doris ‹ , nur daß eben niemand eine Doris kennt. So war das, wenn man nachmittags trank und abends damit aufhörte.« (Ein dickes Fell)
    Das richtige Aufhören zeigt die Meisterschaft eines Nachmittagstrinkers. Das heißt nicht, daß man nicht im Laufe des Abends nochmals einen
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