Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt
Autoren: Andreas Altmann
Vom Netzwerk:
müssen: Kein Zähneputzen in Sibirien, da die Wasserhähne eingefroren sind. Oder Vertrautes gegen Angst: In der Wüste eineinhalb Tage herumstehen und auf den einen warten, der den Weg weiß. Oder Deutsch gegen Vietnamesisch: Eine halbe Stunde lang einem Dutzend Taxifahrern pantomimisch vorturnen, dass man ein Hotel sucht. Oder Freunde gegen Raubritter: Drei kolumbianischen Hundesöhnen zuschauen, wie sie nach meiner Börse greifen. Oder Mühelosigkeit gegen das täglich Ungewisse: Eine knappe Woche neben einer afrikanischen Grenze lungern, weil der erste Gangster des Landes, der nebenberuflich als Präsident fungierte, gerade mit dem Niederschießen seiner Gegner beschäftigt war. Oder zwei Nutella-Morgensemmeln gegen einen gepökelten Schafskopf: In Timbuktu war ich ein Held, der sich nicht Nein zu sagen traute. Oder die Daunendecke gegen Betttücher mit Löchern und Läusen: um hinterher nur mit einer Totalrasur den Bestien zu entkommen. Oder den Morgenkaffee gegen scheußlich grünen Tee: Länder ohne Kaffeehäuser gehören auf die schwarze Liste. Oder die Haut einer Geliebten gegen die Einsamkeit ägyptischer Provinzhotels: wo Rezeptionisten gleichzeitig als Tugendwächter aushelfen. Oder den Seelenfrieden gegen Schweißperlen: weil der Bus über eine Brücke rollte, die schon einmal wegen Materialschwäche nachgegeben hatte. Oder das einwandfrei funktionierende Immunsystem gegen die (siegreichen) Attacken asiatischer Viren: um sich anschließend sechs Monate in einem Tropeninstitut kurieren zu lassen.
    Wie ein Ruf der Kassandra hört es sich an, wenn ich den sibirischen Mundgeruch erwähne, die Bazillen, das Geziefer, die Staatsdiener-Schurken, die verschwundenen Busse, die windigen Zeitgenossen, die Wüsten-Sonnenbrände, die Sprachlosigkeit und – vehement die Lebensfreude mindernd – die Durchfall-Debakel, die erbärmlichen, die unerbittlich in die Hose gehen.
    Nun, gegen alle Bedenken haben die Franzosen einen Satz erfunden, der davor schützen soll, zum Duckmäuser zu regredieren: »Le pire n’est jamais sûr!«, das Schlimmste ist niemals sicher, sprich: Wer sich traut, davonzugehen, traut, sich der Schwerkraft der Lauschigkeit zu widersetzen, der wird belohnt. Unter der Bedingung, dass er etwas Entscheidendes lernt: a) dass die Wirklichkeit bisweilen nicht zu ändern ist und b) dass sie oft andere Möglichkeiten bereithält. Bert Brecht hat das in einer Gedichtstrophe poetisch und drängend beschrieben:
    Ich, der ich nichts mehr liebe
    Als die Unzufriedenheit mit dem Änderbaren
    Hasse auch nichts mehr
    Als die tiefe Unzufriedenheit mit dem Unveränderlichen.
    Hier ein Beispiel, mitten aus dem Leben: Ich sitze im Wartezimmer einer Botschaft, in Afrika. Ich benötige ein Visum. Das ich nicht bekomme. Obwohl meine Papiere in Ordnung sind. Nachfragen ersticken in Gegenfragen: »Warum wollen Sie dorthin reisen?« oder, noch schwachsinniger: »Was ist Ihre Mission?« Ich habe Lust zu antworten: »To kill the president!« Damit der Mann aufhört, als Schwerverbrecher weiter sein Unwesen zu treiben. Aber »no mission« ist noch verdächtiger als »Yes, I do have a mission.« Denn dann würde klar, dass ich meinen Geheimauftrag verschweige. Als gewitzter Reisender kennt man solche Szenen. Absurdes Theater in Echtzeit. Da andere mit im Büro sitzen, kann ich den Verantwortlichen nicht fragen, ob ich zu wenig Scheine in den Pass gelegt habe. Vielleicht liegt es daran.
    Jetzt brauche ich so vieles: die Einsicht, dass ich, vorläufig zumindest, dieses Ziel vergessen muss. Denn bei sturen Beamten – der Satz gilt weltweit – kommen vernunftbegabte Hinweise nicht an. Sturheit obsiegt, sie scheint bis auf den heutigen Tag unheilbar. Und natürlich brauche ich Glück, das auch. Und mein Glück an diesem Oktobertag ist eine Frau, die ebenfalls im Wartezimmer sitzt, ebenfalls kein Visum bekommt und auch von keiner anderen Mission weiß als ihrer Lust auf Welterfahrung.
    Unser geteiltes Leid wird zur doppelten Freude. Denn wir beschließen, bei der Nachbarbotschaft anzuklopfen und dort um ein Visum fürs Nachbarland zu bitten. Wo unser Wunsch erhört wird. Weil sie hier hell und freundlich und effizient sind. Das hat sicher damit zu tun, dass ihr oberster Chef kein Krimineller ist, sondern ein bemühter Herr, der noch nie als Unhold und Mega-Kleptomane von sich reden machte. Und die Frau wird sich als Glücksfall erweisen, denn wir ziehen nun gemeinsam weiter.
    Um uns nach kurzer Zeit wieder zu trennen. Wir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher