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Gassen der Nacht

Gassen der Nacht

Titel: Gassen der Nacht
Autoren: Jason Dark
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so bearbeitet war, als sollte es einen Pelz darstellen. Pelz oder Fell…
    Die hohe Stirn, die breite Nase, ein Gesicht, das nicht rein menschlich war, aber auch nicht rein tierisch, sondern ein Mittelding zwischen beidem.
    Ein eisiger Schauer jagte über meinen Rücken. Ich stand da, ohne mich zu bewegen. Nur in meinem Magen schienen sich dünne Aale zu winden, die sich zu einem zuckenden Klumpen zusammenfanden. Dieses Gesicht kannte ich, es war für mich ein Zerrbild des Schreckens. Es gehörte einer Person, die ich kannte.
    Ich hatte sie vor einiger Zeit als Herrn der Schattenburg kennengelernt. Das Gesicht gehörte Semerias, dem ersten Werwolf in Atlantis!
    Das war ein Schlag, den ich nicht so leicht verdaute, und auch Ray Ralston merkte es.
    »John, was haben Sie? Was ist los?« Ich gab ihm keine Antwort. Ich mußte einfach mit meinen Gedanken allein sein, denn jetzt wußte ich, vor wem Walt Temple so schreckliche Angst gehabt und weshalb er versucht hatte, sich durch zahlreiche Kreuze zu schützen. Vor Semerias! Dieser Bestie, die einst in einer Münze gefangen gewesen und durch einen fürchterlichen Zauber zum Leben erweckt worden war. Kara, die Schöne aus dem Totenreich, hatte ihn damals in Atlantis verbannt. Suko und ich hatten ihn zwar stellen, aber nicht vernichten können. Innerhalb seiner Schattenburg war er unbesiegbar gewesen. Zwar war diese Schattenburg damals zerstört worden, aber ihr Herr und Meister leider nicht. Er war noch da, er war zurückgekehrt, denn der Mord bewies es. [2]
    Und ich sah ihn oberhalb der Spiegelkante in diesem hölzernen, beinahe filigranen Geflecht. Dieser Spiegel und Semerias mußten in einem unmittelbaren Zusammenhang miteinander stehen. Für mich gab es keinen Zweifel, daß da eine Verbindung existierte. Nur fragte ich mich, welche es war. Möglicherweise hatte ich mit diesem Spiegel einen Weg gefunden, der zu ihm führte.
    Der Gedanke daran ließ mich nicht eben fröhlicher werden. Ich kannte schließlich die Grausamkeit dieses Dämons gut genug.
    Ray Ralston tippte mich an und entriß mich dem Karussell der Gedanken. Ich drehte mich langsam um.
    »He, John, was ist mit Ihnen?« Er schüttelte den Kopf. »Sie sehen aus, als hätten Sie den Schock Ihres Lebens erlitten, ehrlich.«
    Ich hob die Schultern. »Kann ich nicht sagen, Ray, aber ein Schock war es schon.«
    Er wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Einige Male schüttelte er den Kopf. »War es der Spiegel?«
    »Ja und nein.« Ich zeichnete ihn mit den Händen nach. In der Höhe führte ich die Finger zusammen. »Sehen Sie sich dieses geschnitzte Gesicht an, Ray! Schauen Sie genau hin.«
    »Klar doch, mach' ich.«
    Ich leuchtete, damit er besser sehen konnte. Ralston trat näher an den Spiegel heran, zog die Nase hoch, legte den Kopf zurück und hob die Schultern. »Das ist zwar eine Fratze, John, ich könnte aber nicht behaupten, daß sie mir große Angst einjagt. Nein, das kann ich wirklich nicht sagen.« Er trat wieder zurück. Dabei schaute er mich auffordernd an. »Jetzt sind Sie an der Reihe.«
    »Das ist Semerias.«
    Ralston lachte etwas knarrend. »Wer soll das sein?«
    »Semerias. Eine uralte Gestalt.«
    »Aber kein Mensch«, unterbrach er mich.
    »Nein und ja. Er ist eine Mischung aus Mensch und Bestie. Jemand, der in der Phase seiner Verwandlung auf einer bestimmten Stufe stehengeblieben ist.«
    »Ha, ahm - Verwandlung, sagten Sie?«
    »Ja. Sein Name ist Semerias. Er war der erste Werwolf, den es auf einem längst versunkenen Kontinent gegeben hat«, murmelte ich und ließ meine Gedanken schweifen. Ich überlegte bereits, wo dieser Walt Temple den Spiegel aufgetrieben hatte. Er mußte ihn ja irgendwo gekauft haben. Das herauszufinden war wichtig.
    »Warum reden Sie nicht weiter, John?«
    »Pardon, aber ich war in Gedanken.«
    »Wie war das mit dem Kontinent, der versunken ist?«
    »Atlantis!«
    Ray Ralston sagte nichts. Er legte nur seine Hand hinter das Ohr. Dann lachte er »Bitte, das mochte ich noch einmal hören! Atlantis? Das sind doch Kindergeschichten, Märchen, Legenden. Was meinen Sie, John, was ich Ihnen…«
    Er verstummte, als er mein Gesicht sah, schluckte dann und hauchte:
    »Echt? Meinen Sie das ehrlich, John?«
    »Natürlich.«
    »Ja, verdammt, ja. Ich habe Sie ja nicht grundlos informiert. Sie sind ja der Mann, der sich mit außergewöhnlichen Dingen beschäftigt. Für Sie ist das Ungewöhnliche alltäglich. Sie haben ja immer diesen Ärger, glaube ich.«
    »Ich kenne ihn,
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