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G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

Titel: G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke
Autoren: Matt Ruff
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gefeierte Katastrophenchronist Tad Winston Peller hatte darüber ein Buch geschrieben, den Me-gabestseller Es heißt, er kam aus Idaho: Geschichten um den Schwanen Tod von 2004. Dieses Erfolgsbuch hatte den Stoff zu nicht weniger als sieben Miniserien geliefert, ganz zu schweigen von einem wöchentlich ausgestrahlten Sci-ft-Drama - Dunkles Herz, Roter Planet- über eine Familie jazzliebender Astronauten, die einzig deswegen dem Massensterben entgeht, weil sie sich zum Zeitpunkt, als die Pandemie ausbricht, auf dem Mars befindet.
    Aber das ist alles eine andere Geschichte. Das Negerproblem hatte nichts mit Krankheit oder Kabelfernsehen zu tun; es war ein ausschließlich verbrauchermarktspezifisches Phänomen.
    Der Selbstmotivierende Android - im Jahr 2003 von einer Disney-Tochtergesellschaft versuchsweise auf den Markt gebracht und ab 2007 von der neugegründeten Gant Industries unter der Produktbezeichnung Gant Automatic Servant serienmäßig hergestellt - eroberte sich anfangs beträchtliche Marktanteile als kostengünstiger Ersatz für Industriearbeiter. Die ersten Androiden wiesen ein nur entfernt menschenähnliches Äußeres auf, da sie eher nach funktionalen als nach ästhetischen Kriterien entwickelt worden waren, aber Harry Gant, der bereits für eine Zeit vorausplante, in der seine Diener nicht nur für Bergwerke und Fabriken, sondern auch für private Haushalte erschwinglich sein würden, bestand auf einem gefälligeren Design. Und so kam der Automatische Diener ab 2010 in einer breiten Palette realistischer Hautfarben und sonstiger Rassenmerkmale auf den Markt. Als überzeugter Verfechter des Rechts des Verbrauchers auf ein möglichst differenziertes Warenangebot forderte Gant seine Marketingexperten ganz gewiß nicht dazu auf, ein bestimmtes Modell zuungunsten eines anderen zu pushen; er war ebenso erstaunt wie jeder andere auch, als die Verkaufszahlen von Typ AS204 - dem Automatischen Diener in der schlichten schwarzen Ausführung - sprunghaft anstiegen und schon bald die aller übrigen Versionen zusammengenommen um das Zehnfache übertrafen.
    Lange Zeit deutete nichts darauf hin, daß das Käuferverhalten irgendwelche PR-Probleme zur Folge haben würde. Die plötzliche Flut von - durchweg höflichen und arbeitsamen -dunkelhäutigen Dienern schien die Leute nicht nur nicht zu stören, sondern ihnen offenbar sogar ein merkwürdig tröstliches Gefühl zu verschaffen. Der wichtigste Aktivposten der Werbeindustrie ist das allgemeine menschliche Bedürfnis, Unerfreuliches zu minimieren oder wenigstens zu übersehen, und ebendiesem Bedürfnis kamen die AS204 wie eine Armee von Sidney Poitiers und Hattie McDaniels entgegen, mit dem Auftrag ausgesandt, jede Erinnerung an die Afrikanische Seuche restlos auszurotten; aber die Kehrseite dieses Aktivpostens ist die Gefahr unterschwellig verbleibender Schuldgefühle, und als Harry Gant erfuhr, eine ultrarepublikanische Baumwollerbin habe sich zwecks Einrichtung einer Art »Vom-Winde-verweht-Teil-I «-Freizeitpark dreihundert Diener auf ihre Plantage liefern lassen, setzte er seinen ganzen Einfluß als Großinserent ein, damit die Medien die Finger von dieser Story ließen.
    Der amerikanischen Umgangssprache konnte er allerdings keinen Maulkorb anlegen. Der in Gants Abteilung für Öffentliche Meinung als Faktotum beschäftigte Linguist der Universität Oxford schätzte, daß der Ausdruck »Elektro-Neger« irgendwann zwischen 2014 und 2016 Eingang ins gesprochene Englisch fand.
    »Elektro-Neger«: ein liebloser Spitzname, der nicht nur einer abscheulichen Verunglimpfung des Andenkens an die Toten gleichkam, sondern darüber hinaus eine Flut von Erinnerungen und Vorstellungen wachrief, die Gant Industries auf keinen Fall mit einem Qualitätsprodukt wie dem Automatischen Diener in Verbindung gebracht wissen wollte. Der Terminus hatte vor einigen Jahren angefangen, sich auch in die Print- und Elektronikmedien einzuschleichen: mehr als nur vereinzelte Erwähnungen in verschiedenen überregionalen Publikationen sowie eine heimtückische Verwendung in einer Late-Night-Show, auf die Vanna Domingo und die Abteilung für Öffentliche Meinung mit einer Breitseite von empörten Faxen und einem angedrohten Werbeboykott reagiert hatten. Eine Zeitlang schien sich das Problem in Wohlgefallen auflösen zu wollen, doch nur um mit um so größerer Vehemenz wiederaufzuflammen, als eine Country-Metal-Formation aus Delaware ein Album mit dem Titel Electric Negroes on the Neon Prairie
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