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Ganz oder gar nicht (German Edition)

Ganz oder gar nicht (German Edition)

Titel: Ganz oder gar nicht (German Edition)
Autoren: Martin Häusler , Lothar Matthäus
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am liebsten für eine Atmosphäre sorgen, die uns in aller Offenheit und ohne Angst miteinander umgehen lässt. Natürlich wird die Putzfrau nie die Macht eines Präsidenten haben. Aber sie soll wichtig genommen werden, genau wie der Zeugwart oder der Busfahrer. Wir alle müssen uns an Regeln halten. Nicht nur an die, die im Vertrag stehen, sondern auch an Verhaltensregeln, und die haben mit Respekt zu tun.
    In diesem Geflecht von Beziehungen ist man als Trainer die arme Sau, weil man letztlich auf alle Kräfte, die auf einen wirken, gleichermaßen angewiesen ist wie auch auf sie Rücksicht nehmen muss. Das fängt beim Journalisten an, den ich manchmal umbringen könnte, weil er wieder einen solchen Mist geschrieben hat. Aber wir müssen den Journalisten nun mal zur Verfügung stehen, wir müssen unseren Sponsoren zur Verfügung stehen, wir müssen dem Präsidium Rede und Antwort stehen, wir müssen unsere Fans zufrieden stellen, wir müssen die Egos unserer Spieler zu handeln wissen. In dieser Fremdbestimmtheit die individuelle Note beizubehalten und Rückgrat zu beweisen, ist eine hohe Kunst.
    In Bulgarien funktionierte dieses System aus Vertrauen, Offenheit und Respekt noch am wenigsten. Ich hatte den bulgarischen Fußball kennenlernen dürfen und der bulgarische Fußball mich. Und das passte gar nicht zusammen. Der bulgarische Fußballer hat keine Lust auf Disziplin, er hat keine Lust zu trainieren, er hat keine Lust, früh aufzustehen, er hat keine Lust auf Videositzungen, er hat keine Lust auf Nachbesprechungen. Der bulgarische Spieler hat auf gar nichts Lust gehabt. Natürlich nicht jeder, aber doch sehr viele. Sie kannten diese Mentalität, etwas unbedingt erreichen zu wollen und sich dafür zu zerreißen, überhaupt nicht. Außerdem merkte ich, dass es an wichtigen handwerklichen Dingen mangelte. Es gehört sich für einen Nationalspieler, nicht nur einen Pass spielen, sondern auch mit einem gewissen Grad an Fußballintelligenz ausgestattet ein Spiel antizipieren zu können.
    Ich versuchte den Spielern klarzumachen, dass die Nationalmannschaft ihre Bühne sei. Meine ungarischen Spieler hatten das kapiert, sie präsentierten sich, wurden weggekauft und verdienen heute Millionen. Die Bulgaren aber schienen selbstzufrieden, sie zogen nicht mit. Und wenn ich mal an die Ehre appellierte mit Sätzen wie »Ihr seid die Auserwählten! Ihr könnt stolz sein, für dieses Land zu spielen!«, dann hat sie das nicht interessiert. Hier rein, da raus.
    Wollte ich mal mit einem Rausschmiss ein Exempel statuieren, wurde ich vom Präsidenten zurückgepfiffen. Ein Tabu! Ich fragte ihn: »Warum hast du mich geholt, Bobby? Ging es nicht darum, dass ich hier Professionalität, Disziplin und fußballerische Innovation hineinbringe?« »Lass die Spieler doch ausschlafen«, sagte er. »Was willst du zweimal trainieren am Tag? Das sind die Jungs hier nicht gewohnt.« So etwas musste ich mir anhören. Und an die Absprachen konnte man sich plötzlich nicht mehr erinnern, man legte mir sogar Steine in den Weg. Statt mich auch hier wieder Sponsorengelder akquirieren zu lassen, akzeptierte der Verband meine Sponsoren einfach nicht, weil man lieber seinen eigenen Klüngel pflegen wollte und meinte, dass man sich bei dem und dem Deal die Möglichkeit eines größeren Deals zunichte machen würde. Wo waren diese größeren Deals? Bis heute gibt es sie nicht. Man musste sich schon sehr wundern.
    In meine Amtszeit in Bulgarien fiel noch ein weiteres sehr unschönes Ereignis: eine Manipulation durch die Wettmafia. Ich fand es von Beginn an merkwürdig, dass Präsident Michailow auf Austragung eines ganz bestimmten Freundschaftsspiels bestand. Bulgarien sollte gegen Estland antreten. Nicht etwa in Bulgarien oder in Estland, sondern im türkischen Antalya. Ich wehrte mich – unter Zeugen – wochenlang gegen diese meiner Meinung nach völlig unsinnige Partie. Nach ungarischem Vorbild hatte ich in Sofia meine Politik der anspruchsvollen Freundschaftsspiele gegen attraktive Gegner fortsetzen wollen. Obwohl Estland alles andere als erste Wahl war und ich davon überzeugt gewesen bin, dass weder Zuschauer noch Atmosphäre ins Stadion kommen würden und uns das Spiel auch wirtschaftlich nichts brächte, war Michailow in diesem Falle nicht umzustimmen.
    Ich hatte schon andere Fälle erlebt von bulgarischen Partien, die partout gespielt werden mussten. Ich erinnere mich noch an ein vier Monate vorher stattfindendes Match in Istanbul gegen
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