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Ganz oder gar nicht (German Edition)

Ganz oder gar nicht (German Edition)

Titel: Ganz oder gar nicht (German Edition)
Autoren: Martin Häusler , Lothar Matthäus
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auf Siege etwas eingebildet. Ich habe aber auch Niederlagen oder falsche Entscheidungen nie lange betrauert.
    Meine Karriere als Trainer ist bisher nicht so verlaufen, wie ich es mir gewünscht hätte, aber ich kann mich doch nicht hinsetzen und lauthals lamentieren, wie es der Deutsche so gerne macht. Ich habe mein Leben, ich habe meine Freunde, ich bin gesund, ich habe eine gewisse Sicherheit, und ich habe vor allem eines: Freiheit. Und solange ich keinen Trainerjob habe, genieße ich sie. Eine Freiheit, die ein Karl-Heinz Rummenigge vielleicht nicht hat, weil er jeden Tag am Schreibtisch sitzen muss. Daher komme ich auch gut damit zurecht, wenn Karl-Heinz öffentlich äußert, die zweite Lebenshälfte des Lothar Matthäus sei ja bisher nicht so positiv verlaufen. Ich fresse solche Kommentare nicht mehr wie früher in mich hinein, weil ich weiß, dass irgendwann auch wieder andere Zeiten kommen werden.
    Ich war immer zufrieden mit dem, was ich hatte. Ich wäre auch als Raumausstatter oder Innenarchitekt glücklich geworden. Vielleicht hätte ich dann längst das warme Zuhause, das ich suche, vielleicht wäre ich nicht viermal geschieden. Vielleicht müsste ich dann nicht immer Koffer packen. Andererseits hätte ich vieles andere nicht erleben können, großartige Momente, wertvolle Begegnungen und lehrreiche Misserfolge.

EINE FAMILIE IN FRANKEN
    Ich bin ein Arbeiterkind. Der Lebensinhalt meiner Eltern war die Arbeit, tägliche, harte, ehrliche Arbeit. Blicke ich zurück auf meine Kindheit, sehe ich die beiden eigentlich immer nur arbeiten. Ihnen ist nichts geschenkt worden, und so lernte ich, dass ohne Arbeit auch mir nichts geschenkt werden würde.
    Mein Vater Heinz stammt aus Schlesien. Er hat nie viel über seine Heimat erzählt, nur die Geschichte von der Flucht hörten wir immer wieder. Wie sie als neunköpfige Familie ihr Zuhause in Triebel verlassen mussten, weil »der Russe« nahte. Triebel liegt drei Kilometer östlich der Neiße und heißt heute Trzebiel. Mein Großvater war dort Stellmacher, er hatte eine eigene Werkstatt in dem 2 400 Einwohner kleinen Städtchen. Mehrfach war er mit seiner Familie umgezogen, um schließlich hier heimisch zu werden.
    Als sich der Zweite Weltkrieg dem Ende neigte und die Radiomeldungen Anfang Februar 1945 immer bedrohlicher klangen, wollten sie alle weg. Es waren zu viele, um rechtzeitig in Sicherheit gelangen zu können. Doch weil sich eines Abends deutsche Soldaten bei meinen Großeltern selbst zum Essen einluden, bekamen sie die Gelegenheit, schon am nächsten Tag mit dem Militärbus nach Hoyerswerda mitgenommen zu werden. Von dort würde ein Flüchtlingszug Richtung Westen gehen. Am 15. Februar 1945 – das Datum weiß mein Vater noch ganz genau – verließen sie ihre Heimat für immer. Sie zogen so viel Schichten Kleidung übereinander, wie sie nur konnten, packten so viele Koffer, wie sie besaßen, und begaben sich auf eine Fahrt ins Ungewisse. Mit 14 anderen Flüchtlingen in einen Güterwaggon gepfercht kam der Matthäus-Clan nach drei Tagen und drei Nächten in seiner neuen Heimat an. Niemand wusste, wo man war. Es hätte das Rheinland sein können, es hätte Ostfriesland sein können. Aber es war Franken. Noch am Bahnhof von Erlangen wurden die Familien aufgeteilt und in alle Ecken der Region geschickt. Für meine Familie ging es nach Höfen, eine kleine Ortschaft westlich von Herzogenaurach. Von Herzen willkommen waren sie hier nicht.
    Mein Vater war damals vierzehn Jahre alt und das älteste aller Geschwisterkinder. Er wurde von klein auf hart rangenommen und in die Arbeitsabläufe integriert. Schon auf der Flucht war es an ihm, mit ein wenig Geld in der Tasche aus dem Güterwaggon zu springen, um mit irgendetwas Essbarem zurückzukommen, das alle neun satt machte. »Freiheit«, hat mein Vater mal gesagt, »Freiheit haben wir eigentlich nie groß gehabt.« Obwohl er die Leibesertüchtigung – wie es damals hieß – liebte, reihenweise Goldene Sportabzeichen nach Hause getragen hatte, einen ganz guten Fußball spielte und daher eigentlich immer Sportlehrer werden wollte, schlug er den Berufsweg seines Vaters ein. 1949 schloss er im väterlichen Betrieb seine Zimmermannslehre ab. Eine handwerkliche Tradition, der auch ich mich später anschließen sollte.
    Im gleichen Jahr lernte mein Vater meine Mutter kennen. »Aus Blödsinn«, sagt er heute noch. Damit meint er die Weihnachtsfeier des FC Herzogenaurach, auf der man sich in der Gaststätte Zum Weißen
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