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Galgentod

Galgentod

Titel: Galgentod
Autoren: Elke Schwab
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verstauen konnte. So vermied er es, für jede Reparatur weite Wege zum Werkzeugkeller zurücklegen zu müssen. Er suchte lange an seinem Schlüsselbund, bis er den richtigen Schlüssel fand, um das Max-Planck-Gymnasium aufzusperren. Am Türschloss legte er den kleiner Schnapper zurück, damit die Türen nicht fest einrasten konnten. Anschließend öffnete er die Glastür weit, damit die abgestandene Luft der Nacht entweichen konnte. Direkt gegenüber lag die nächste Tür, die zum Innenhof führte. Dort passte derselbe Schlüssel. Er entsicherte ebenfalls den Schnapper und stellte die Tür weit auf, um Durchzug zu erzeugen. Sein nächster Gang galt dem gelben Gebäude am Ende des Hofes. Ärgerlicherweise musste er dafür an der verlockenden Kantine vorbeigehen, aus deren geöffneter Tür verführerische Düfte den Hof einhüllten. Hastig schloss er die Tür zu dem gelben Gebäude auf und eilte – magisch angezogen von den Essensgerüchen – zurück zum Bistro Max-Inn . Er wusste, dass die gute Seele der Schule, Hilde Probst, schon mit frischen Brötchen und Kaffee auf ihn wartete. Das war für Plebe ein Muss. Ohne ein gutes Frühstück zusammen mit Hilde Probst brauchte er gar nicht erst zu versuchen, den Tag zu beginnen. Schon von weitem sah er, dass für ihn auf der kleinen Theke alles gerichtet war. So konnte der Arbeitstag beginnen.
    Er nahm seine Brötchen, die mit Wurst und Käse belegt waren, und suchte sich einen Tisch im Inneren des Raums. Ans Fenster wollte er auf keinen Fall, weil dort die Sonne schon früh am Morgen einheizte. Also entschied er sich für einen Platz ganz in der Nähe der Küche. Nach nur wenigen Minuten, die mit Geschirrklappern und Scheppern vergingen, gesellte sich die Köchin zu ihm. Es war für die beiden schon zu einem Ritual geworden. Er aß und trank, sie trank und rauchte. Diese ungestörte Harmonie konnten sie nur in den frühen Morgenstunden genießen. Denn schon bald würde der Schulbetrieb losgehen und dann war es mit der Ruhe vorbei. Zurzeit zwitscherten nur die Vögel um die Wette.
    Plebe kaute eine Weile, bis ihm die Geduld verging. »Diese Vögel machen einen Lärm, dass es mich wundert, wie einer so etwas schön finden kann.« Hilde Probst lachte und antwortete: »Du bist nur neidisch, weil die Vögel bessere Laune haben als du.«
    Verdutzt schaute Plebe die Köchin an. Wenn er es sich genau überlegte, hatte sie Recht.
    Die ersten Schüler trafen ein. Sie waren es, denen es spielend gelang, den Lärm der Vögel zu übertönen. Schon wieder hatte Plebe einen Grund sich zu ärgern. Er war wohl genau das, was man einen Morgenmuffel nannte. Doch an diesem Morgen kam ihm das Geschrei der Schüler besonders laut vor. Darunter mischte sich Kreischen und Lachen, das schon nach Hysterie klang.
    »Da stimmt was nicht«, stellte nun auch die Köchin fest. Die beiden ließen ihre Frühstücksutensilien fallen und eilten durch den Hof zum braunen Schulgebäude des Max-Planck-Gymnasiums. Schon an der offenstehenden Glastür erkannte Ernst Plebe, dass etwas passiert sein musste. Aufgeregt betrat er das Gebäude. Dabei hatte er Mühe, an den durcheinanderlaufenden Schülern vorbeizukommen.
    »Was ist hier passiert?«, fragte er atemlos.
    Ein älterer Schüler antwortete mit einem ironischen Grinsen: »Schauen Sie doch selber nach!«
    Plebe versuchte sich nicht über den überheblichen Kerl zu ärgern. Er folgte der Masse der Schüler, die alle in die große Aula drängten. Schon von weitem sah er, was die Aufregung ausgelöst hatte. Ihm wurde schwindelig vor Schreck. Alles hatte er erwartet – nur das nicht.
    Mitten in dem großen Lichthof, in einer Höhe von drei Metern hing ein Mann.
    Plebe wollte das nicht sehen. Aber er konnte seinen Blick nicht abwenden. Er hatte sich nicht getäuscht. Dort hing Bertram Andernach, der Deutschlehrer.
    Er war mausetot, was sein blau angelaufenes Gesicht und die heraushängende Zunge verrieten. Aber das war noch nicht alles. Die Hosen des Deutschlehrers hingen auf seinen Fußknöcheln. Sein Unterkörper war nackt.

Kapitel 3
    Das Lied Vom selben Stern von der Gruppe Ich und Ich bohrte sich laut in Erik Tenes’ Ohr. Er wollte nicht wahrhaben, dass die Nacht schon vorbei war. Zu gut hatte er geschlafen, was nicht gerade oft in seinem Leben vorkam. Nach seiner Versetzung von Köln nach Saarbrücken vor sechs Jahren hatte er gehofft mit seinem Leben ins Reine zu kommen. Doch leider war ihm das bisher noch nicht gelungen. Zu schwer lastete seine
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