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Galgentod

Galgentod

Titel: Galgentod
Autoren: Elke Schwab
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Waldstück. Dort lag alles im dunklen Schatten. Ein leiser Wind raschelte durch die Bäume. Der Duft des Waldbodens stieg in seine Nase. Was für ein Lebensgefühl. Er liebte die Gerüche der Natur, liebte es, sich wie ein Teil von ihr zu fühlen. Der lange Marsch tat ihm gut. Dabei konnte er nachdenken. So, wie er jetzt über seinen Arbeitsplatz nachdachte, die Teufelsburg.
    Die Ruine war im frühen Mittelalter entdeckt, mehrmals zerstört und wieder aufgebaut worden, bis sie im siebzehnten Jahrhundert dem Zerfall überlassen worden war. Zum Glück für Fred hatten in den Sechzigerjahren einige Interessenten eine Fördergemeinschaft für die Teufelsburg gegründet. Seitdem wurde die Burg restauriert und originalgetreu nachgebaut, was durch Tourismus bezahlt werden sollte. Und Fred war der Touristenführer. Kein Job, der ihm ein Vermögen einbrachte. Dafür ein Job, der ihm das gute Gefühl gab, etwas Sinnvolles aus seinem Leben zu machen. Er kannte die Geschichte dieser Burg in- und auswendig, plapperte sie vielen Schulklassen, die ihre Klassenfahrt dorthin machten, rauf und runter und erfreute sich an den erstaunten Gesichtern der Kinder. Die Kleinen bewunderten ihn für seine Schlauheit, weil er das alles wusste. Eine Bewunderung, die Fred genoss, die ihm das Gefühl gab, kein Versager zu sein. Denn, wenn er sein Leben überdachte, war ihm selten Anerkennung entgegengebracht worden. Im Gegenteil. Schon in der Schule hatte es angefangen. Auch nach seinem überstürzten Schulabgang sollte diese Häme nicht enden. Als ihm die Arbeit als Touristenführer auf der Teufelsburg angeboten worden war, hatte er sich in Sicherheit gewähnt. War der Überzeugung gewesen, dort etwas für sein Selbstwertgefühl tun zu können. Doch dann stand eines Tages sein früherer Deutschlehrer Bertram Andernach vor ihm und beschämte ihn vor der ganzen Schulklasse, die er damals zur Teufelsburg begleitet hatte. Fred wäre am liebsten im Boden versunken. Dabei hatte er diesen unverhofften Besuch sich selbst zu verdanken. Fred hatte den Helden spielen wollen, hatte einen Auftritt in der Schule hingelegt, mit dem er Bertram Andernach beeindrucken wollte. Doch erreicht hatte er nur, dass dieser sich wieder an Fred erinnerte. Sehr zu Freds Leidwesen.
    Er hob den Blick und riss sich aus den trüben Gedanken.
    Seine Augen erfassten inmitten der üppigen Vegetation sein Ziel. Das alte Mauerwerk der Teufelsburg stach braun zwischen dem saftigen Grün hervor. Sein Weg führte von Südosten auf die Burg zu. Von dort fiel sein Blick auf die äußere Verteidigungsmauer mit ihrem gut erhaltenen Wehrturm. Dahinter verbargen sich die ehemalige Waffenkammer, ein Aufenthaltsraum und Schlafräume. Dazu die ehemaligen Vorratsräume, die heute als Museum dienten – auch ein Teil seiner Arbeitsstätte.
    Wenn er über seine Tätigkeit nachdachte, schwoll seine Brust vor Stolz an. Er, Fred Recktenwald, der Museumsdirektor! Das klang beeindruckend. Und nicht nur das: Fred fühlte sich bei dem Gedanken richtig gut, dass er es war, der das Museum führte. Er konnte zu jedem einzelnen Fundstück sämtliche wissenswerte Details aufführen. Darin war er perfekt. Er hatte Zeit genug gehabt, alles auswendig zu lernen. Da war es eigentlich egal, dass er nicht wirklich ein Museumsdirektor war, sondern lediglich eine Aushilfe, die vereinzelten Besuchern Rede und Antwort stand.
    Aber heute konnte ihn so schnell nichts mehr aus der Bahn werfen. Heute sah er sich als Museumsdirektor. Wer konnte ihm widersprechen?
    Der Deutschlehrer Bertram Andernach jedenfalls nicht mehr.
    Seine Schritte wurden immer beschwingter, je näher er der Teufelsburg kam. Der letzte, steile Anstieg konnte ihm an diesem Tag nichts anhaben. Das Bild des Deutschlehrers mit heruntergelassener Hose verlieh ihm Flügel.
    Wie hatte der überhebliche Kerl immer gesagt: Du solltest dich mal selbst sehen.
    Fred lachte laut auf.
    Die Zurschaustellung war gelungen.
    Nur mit dem kleinen Unterschied, dass diesmal der Deutschlehrer selbst zur Schau gestellt wurde. Wie schade, dass Bertram Andernach diese Schande nicht bewusst erleben würde. Denn vermutlich schmorte er bereits in der Hölle.

Kapitel 2
    Es war schon viel zu warm für diese frühe Stunde. Diese Hitze machte ihn fertig. Ernst Plebe schleppte seinen massigen Körper über den Zugangsweg auf das braune Schulgebäude zu. Sein Blaumann heizte ihm ein, aber er musste ihn tragen. Denn daran befanden sich etliche Taschen, in denen er sämtliche Werkzeuge
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