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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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sich jäh geleert. Im Hintergrund rauschte noch eine einsame Dusche. Was für ein Aufwand an Gebäude und Personal für im Grunde zwei Stunden zwischen Büroschluss und Abendessen. Das konnte sich nicht rentieren.
    Ich stieg die Treppe hinauf. Schließlich war ich heute nur wegen Schiller gekommen.
    Im Bistro saß Weber vor erloschener und verlassener Bar, wartend. Horst sammelte im Aerobicsaal die roten Plastikpodeste des Quickstepp aufeinander und trug sie nach irgendwo hinter dem Bistro. Er rückte ein paar Fausthanteln im Gestell zurecht und begab sich hinter die Zwischenwand in den Raum für die wirklich schwere Langhantelarbeit. Das Konzept der Intimität des eigenen Kampfs mit dem inneren Schweinehund war sicherlich auch Schillers Idee.
    Ich stand noch unschlüssig auf dem Parkett, da stürzte Horst auch schon hinter der Zwischenwand hervor, rannte mich fast um und hastete die Treppe hinab. Es war unvermeidlich, dass Weber und ich uns anschauten. Eine Art von Fatalismus spiegelte sich in seinen Augen. Angst eigentlich.
    Ich ging nachschauen.
    Fritz Schiller lag im rostroten Trainingsanzug rücklings auf der nagelneuen Flachdrückbank. Arme und Beine hingen so haltlos überstreckt zu Boden, dass es mich in den eigenen Sehnen schmerzte. Quer im Hals steckte in erkaltetem Gleichgewicht die Langhantelstange, die mit großen grünen Scheiben bestückt war. Etwas blutiger Schaum plusterte sich auf seinem Schnauzer. Die Augen, diese unverschämt suggestiven dunklen Augen, standen für die Ewigkeit halb offen, blutunterlaufen. Der Siegelring an seiner linken Hand berührte das Parkett.
    In den drei Sekunden absoluter Stille, ehe das metallene Beben der Saaltreppe das Kommen anderer ankündigte, sah ich zum ersten Mal den Raum, in den ich schon zweimal hineingeschaut hatte: fünf Stemmgeräte, drei Bänke unterschiedlicher Neigung, zwei Galgen mit Stangenlaufschiene, eine freie Langhantel, zwei vergitterte Fenster, eine blaue Tür mit dem Notausgang-Zeichen und dem automatischen Türschließer in der Ecke.
    »He, was machen Sie da!« Gertrud zog mich weg, doch ih re Hand rutschte ab, als sie den Toten sah. »Ein Unfall, mein Gott, ein Unfall!«
    Fängele knetete sich die weichen Backen.
    Gertrud wandte sich um. »Horst, hol Katrin!«
    Horst stieß vor der Treppe mit einem breitschultrigen Kerl zusammen, der von unten heraufkam.
    »Oh Gott, Christoph«, sagte Gertrud. »Ein Unfall. Ein schrecklicher Unfall!«
    Das Konzept der Intimität erwies seine Nachteile in puncto Sicherheit.
    »Nichts anfassen!«, sagte Christoph in einem Ton, der mir ins Rückenmark fuhr. So sprachen Polizisten. Doch auch ei nen Bullen, der schon viele Tote gesehen haben mochte, erwischte diese Leiche kalt. Die Hand des breitschultrigen Kerls mit dem Stoppelschädel zitterte, als er das Handy entgegennahm, das Fängele in den Taschen seiner Elefantenhaut herumtrug.
    Während Christoph sich vertippte, langte Katrin an, barfü ßig und im Judokittel. Sie starrte auf ihren toten Mann, die Lippen zusammengepresst.
    Weber zog sie weg, ohne selbst hinzuschauen.
    Vier schwarz gegürtete Judoschüler pfropften auf der Treppe. Waldemar bahnte sich gelassen den Weg durch sie hindurch.

7
     
    Chefredakteur Hermann Elsäßer kam um halb zehn. Ich ließ ihm fünf Minuten Zeit, sich mit Kaffee zu versorgen, dann stand ich bei ihm im Büro. Er schaute von der Zeitung auf. Ich hatte gestern Nacht noch einen Fünfzeiler diktiert.
    »Frau Nerz. Was kann ich für Sie tun?«
    Elsäßer war ein Großer von Mitte fünfzig mit Kinnbart und Pfeife, ein Golfer, Tennisspieler und Kommentator. Seine von langen Wimpern umflorten dunkelblauen Augen straften sein gesamtes Bemühen um Unerschütterlichkeit und Überlegenheit Lügen.
    »Im Schlachthof«, sagte ich, »hat es gestern einen Toten gegeben. Übrigens schon den zweiten.«
    »Sehr schön.« Elsäßer neigte dazu, Frauen zu loben wie Kinder, die mit unverständlichen Zeichnungen ankamen.
    »Der Tote heißt Fritz Schiller.«
    Elsäßer feixte gebildet. »Das tragen Sie am besten nachher in der Konferenz vor.«
    »Pit Hessler trägt vor, aber ich möchte die Story.«
    »Da müsst ihr euch schon untereinander einigen.« Elsäßer hakte die Pfeife zwischen die Zähne. Sein Blick entwischte immer wieder auf die Zeitung vor ihm. Doch da die Dunhill nicht dampfen wollte und er nach dem Feuerzeug langte, konnte ich noch ein paar Sekunden seiner Aufmerksamkeit erhaschen.
    »Es könnte eine große Geschichte werden. Das

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