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Gabriel - Duell der Engel

Gabriel - Duell der Engel

Titel: Gabriel - Duell der Engel
Autoren: Kaja Bergmann
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der Wind meine Haare nach hinten wehte. Klingt langweilig, ich weiß. Ist aber atemberaubend. Beurteile nichts, was du nicht kennst.
    Ich entdeckte, dass ich keinen Schlaf brauchte. Ich konnte schlafen, wenn ich wollte. Aber es hatte nichts damit zu tun, ob ich mich wohlfühlte oder nicht. Man lernt den Schlaf erst zu schätzen, wenn man ihn nicht mehr körperlich braucht. Manchmal sehnte ich mich danach, mich einfach hinzulegen und meinen Geist den Träumen zu übergeben. Einmal nicht bewusst denken müssen. Für kurze Zeit frei sein. Dinge erleben, die ich nicht beeinflussen kann. In meinen Träumen. Meistens flog ich auch in ihnen. Sie unterschieden sich von der Wirklichkeit nur dadurch, dass meine Gedanken mir egal waren. Und ich genoss es.
    Meine Nächte gestaltete ich also ausschließlich durch Fliegen. Entweder flog ich in meinen Träumen oder ich flog in der Realität. Ich kann nicht sagen, was mich mit größerem Glück erfüllte. Beides war unglaublich.
    Ich erzählte niemandem von meinem nächtlichen Doppelleben. Nicht einmal Sonja. Vor allem nicht Sonja. Zuerst wollte ich es tun, aber dann dachte ich daran, wie entsetzt sie damals im Krankenhaus auf meinen Traum reagiert hatte. Und ich bekam Angst. Angst, dass sie mich für einen Freak halten könnte. Angst, dass sie mein neues Ich nicht mehr lieben könnte. Angst, dass ich sie nie wieder sehen könnte. Dass alles vorbei wäre. Für immer. Ich konnte es ihr nicht sagen. Niemandem. Es würde für immer mein Geheimnis bleiben.
    Â 
    Im Nachhinein fiel mir auf, wie sonderbar es war, dass mich niemand je gesehen hat. Außer ein paar wenige Kinder. Und wer glaubt schon Kindern, in unserer heutigen, aufgeklärten, zivilisierten Welt? Ich denke nicht, dass ich unsichtbar bin. Ich denke eher, dass die Menschen nur das sehen, was sie sehen wollen. Ein Flugzeug zum Beispiel. Oder einen Vogel. Aber keinen Engel.
    Jedenfalls verlief mein Doppelleben ohne Probleme. Tagsüber ging ich in die Schule, traf mich mit Sonja, alles ganz normal. Alles wie immer.
    Bis zu jenem weiteren schicksalhaften Tag, der in mein Leben einbrach und alles zerstörte.

14. Mai 2012, 11:16 Uhr
    Â 
    Wenigstens war es kein Freitag. Nein, es war ein Montag. Ein typisch beschissener Montag. Der schon schlecht begann und von Stunde zu Stunde immer schlimmer wurde. Um genau 11:16 Uhr schien er seinen Tiefpunkt erreicht zu haben. Denn da begann Mathe.
    Ich HASSE Mathe. Zu kalt, zu klar, zu eindeutig. Kein Raum für Wunder, für Fantasie, für Farben. Alles trist und grau. Wie Frankfurt.
    Sonja mag Mathe ganz gerne. Sie meint immer, dass es ihr in unserer heutigen, komplizierten Welt gut tut, wenigstens in einer Sache Klarheit zu haben. Wenn mal etwas eindeutig ist. Wenn sie für ein paar Stunden in die ordentlich strukturierte Welt der Zahlen flüchten kann, versuchen kann, dort Rätsel zu lösen und dabei die »wichtigen« Probleme dessen, was wir Welt nennen, zu vergessen.
    Ich bin gut darin, sie zu vergessen. Aber nicht durch Mathe. Vor allem nicht durch Mathe. Eher durch Geschichten. Erzählt in Büchern, Gemälden, Filmen.
    Nun ja, in dieser Ansicht werden wir uns wohl immer unterscheiden.
    Â 
    Heute stand Kurvendiskussion auf dem Plan. Mal wieder. Klingt wie eine viertklassige Modelshow, beschreibt aber tatsächlich eine ganz besonders perfide Möglichkeit, mathehassende Schüler wie mich mit ganz speziellen Unwichtigkeiten zu quälen. Was interessiert es mich, wo diese blöde Funktion ihren verdammten Hochpunkt hat? Sie findet es sicher auch nicht gut, dass alle Leute sie auseinandernehmen und untersuchen, die Funktion. Das ist ihr bestimmt ganz schön peinlich. Und unangenehm. Die Arme.
    Und während ich mich für die nächsten fünfzehn Minuten in das Seelenleben der Exponentialfunktion f(x)= x 5  – 10/3 x 3  – 1 vertiefte, rechneten meine Mitschüler fleißig an ihr herum.
    Â»Gut, die Zeit ist um! Lasst uns mal die Ergebnisse vergleichen!« Hä? Ach so. Mein Mathelehrer, Herr Udoriwitsch. Komischer Name, ja. Graue Haare, graues Jackett, grauer Verstand. Kein Humor, dafür aber eine Brille. Und eine stark sadistische Ader. Auf seiner Stirn. Keiner möchte sich vorstellen, was der nachts in seinem Keller treibt. Dass ich ihn nicht mag, liegt also nicht nur an seinem Fach. Mit meinem Physiklehrer zum Beispiel habe ich das stille Abkommen
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