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Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)

Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)

Titel: Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)
Autoren: Anna Fricke
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wurde, während sie spielten oder einfach in der Nacht an ihrem Bettchen. Meistens bekamen die jungen Mütter schon relativ früh eine Vision, zum Beispiel in Form eines Traumes, einer plötzlichen Eingebung oder ähnliches. Oft passierte das in den ersten drei Lebensjahren des Kindes mehrmals, bis die Mutter einen genaueren Überblick hatte. Wie genau diese Visionen dann faktisch waren, war immer sehr unterschiedlich. Manche Mütter sahen kurze Bilder, andere hörten oder rochen etwas. Es gab auch Frauen, die zwei Tage lang im Koma gelegen und fast das ganze Leben ihres Kindes im Schnelldurchlauf gesehen hatten. Das war aber eher selten. Die Durchschnittsmutter sah bestimmte Stationen im Lebensweg der Kinder, sie fühlte die Wichtigkeit, und nahm mit allen Sinnen wahr, was es zu erfahren gab. Oft waren es nur undeutliche Bilder, wie Szenen aus einem Film, der etwas zu unscharf war oder von zu weit weg gefilmt. Es lag dann an der Mutter, diese Szenen anhand ihrer Eindrücke, Gefühle und Deutungskraft zu entschlüsseln. Das hört sich jetzt schwerer an, als es in Wirklichkeit war. Diese Szenen waren oft sehr typische Szenen, wie Schulabschlüsse, Hochzeiten oder auch Scheidungen. Manchmal sah die Mutter andere Personen, mal mehr, mal weniger deutlich. Dabei handelte es sich in der Regel um sehr gute Freunde oder den zukünftigen Ehepartner.
    Die Visionen waren ein altes Erbe unseres Clans, mehr eine Tradition, wie Konfirmation in weniger gläubigen christlichen Familien. Sie liefen so neben dem Leben her, einige richteten sich danach aus, andere nicht und nach einer gewissen Zeit stellte man fest, dass vieles eingetroffen war, was einem prophezeit wurde.
    Ich war jedoch stark verwachsen mit unseren Wurzeln.
    Mein Bruder hatte seine Bestimmung, wie wir die Visionen umgangssprachlich nannten, mit sechzehn erhalten, das normale Alter sozusagen. Meine Schwester hatte ihre schon mit fünfzehn gehört, nur meine Vision ließ auf sich warten.
    Das war auch der Grund, wieso ich so übermäßig aufgeregt war. Ich hatte einen starken Glauben und wünschte mir sehr, dass alles gut ausgehen würde. Es war schon ungewöhnlich, dass die Visionen, besonders bei Zwillingen so weit auseinander lagen. Ich tröstete mich immer mit dem Gedanken, dass solche Visionen meistens einen Grund für ihre Verspätung hatten. Vielleicht beinhaltete sie ja etwas von großer Bedeutung, das niemand vorher wissen durfte? Schließlich ging es um Menschen, die das Leben des Kindes stark beeinflussen würden.  
    Meine Mutter hatte mir immer gesagt, sie wisse nicht, wieso sie in meiner Kindheit keine Vision empfangen hatte. Aber auch solche Fälle gab es. Einzeln, aber sie existierten.
    Für gewöhnlich erzählten sich Geschwister untereinander den Inhalt ihrer Visionen. Marc war da immer sehr sparsam gewesen. Er beschränkte sich darauf zu erwähnen, dass ein Ereignis in seiner Vision vorgekommen sei, wenn es bereits eingetreten war.
    Luna und ich hingegen hatten eine ganz andere Beziehung zueinander. Sie hatte mir ihre Vision dargelegt: Unsere Mutter hatte einen Mann in ihrem Leben gesehen, nein vielmehr gespürt. Einer von der intellektuellen Sorte, wie Luna mir grinsend anvertraut hatte. Sie würde wohl einen handwerklichen Weg einschlagen und müsse immer angetrieben werden, denn sie hatte einen Hang zum Müßiggang. Als sie mir das eröffnete, mussten wir beide lachen, denn mittlerweile kannte man uns ja ganz gut und dass Luna ein wenig faul bezüglich Schule und später dann auch in der Ausbildung war, das wussten wir ja schon. Aber interessant, dass unsere Mutter dies in ihrer Vision gesehen hatte. 
    Mittlerweile trommelten meine Finger unruhig auf der Armlehne des Sessels. Ich zwang mich, tief einzuatmen, um mich zu beruhigen. Doch dann hörte ich das verräterische Knarren der Holzdielen im Flur.
    Meine Mutter klopfte an die Zimmertür, wartete aber nicht, bis ich sie hereinrief, sondern drückte langsam die Klinke herunter. Sie hatte dieses Gesicht aufgesetzt, das alle Mütter aufsetzten, wenn es um etwas Wichtiges ging. Eine Mischung aus Stolz und Ernst. In ihren Händen hielt sie ein Blatt Papier.
    Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich suchte in ihrem Gesicht nach Anzeichen für die Beschaffenheit meiner Vision. Etwas, was mir verriet, ob ich ihr entsprach, ob sich schon etwas erfüllt hatte, ob Jasper darin vorkam… irgendwas! Doch Mamas Blick verriet nichts. Sie sah mich eine Weile schweigend an, sie hatte die Tür kaum merklich hinter
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