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Furchtbar lieb

Furchtbar lieb

Titel: Furchtbar lieb
Autoren: Helen FitzGerald
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Chas damit beschäftigt, »Der Bücherwurm« wütend vor- und zurückzuspulen und die Gesichter der kleinen Mädchen in der Sendung anzusehen (glücklich? verängstigt? verletzt?), als Krissie heulend an seine Tür klopfte.
    »Er ist verheiratet«, sagte sie.
    Sie tranken gemeinsam zwei Flaschen Wein. Schließlich saßen sie auf dem Sofa, und Chas hatte seinen Arm um sie gelegt. Es fühlte sich sehr, sehr angenehm an. Da war er, der Augenblick, auf den er gewartet hatte, der Augenblick, da Krissie zulassen würde, von jemandem geliebt zu werden, der sie wirklich mochte.
    »Krissie?«
    »Ja?«
    Eine Pause.
    »Krissie Donald …«
    Krissie warf Chas einen fragenden Blick zu, während sie darauf wartete, dass er ein weiteres Wort herausbekäme. Dann klingelte ihr Handy. Sie hörte zu, legte auf, und dann klingelte es erneut, und sie hörte zu und legte nicht auf, und ihr Arm zog sich von Chas’ Arm zurück, und sie wurde ganz schmachtend und weich, und dann zog sie kichernd ihren Mantel an, und während sie immer noch telefonierte, formte sie mit dem Mund die Worte: »Muss gehen.«
    Nachdem er die zweite Flasche Wodka niedergemacht hatte, setzte sich Chas in den Zug nach London. Er wusste nicht recht, was er tun würde. Ihn anbrüllen? Ihn zur Vernunft bringen? Ihn auf frischer Tat ertappen?
    Am nächsten Tag rief er bei der BBC an und sagte, er sei der Vater eines Mädchens in »Der Bücherwurm« und hoffe auf weitere Arbeit. Die Empfangssekretärin sagte, sie werde die Bitte weiterleiten.
    Mike rief die Handynummer an, sobald er die Nachricht erhalten hatte, und erklärte sich bereit, Vater und Tochter inseiner Wohnung zu treffen, um die Angelegenheit mit ihnen zu besprechen. Als Chas in der Wohnung ankam, war er verkatert und erschöpft. Mike öffnete lächelnd die Tür.
    »Mr. Worthington?«
    »Ja, hallo«, sagte Chas. Dann erklärte er nervös, dass seine Tochter in der Schule sei, aber liebend gern wieder einmal schauspielern würde.
    Chas setzte sich hin, während Mike einen Kaffee machte und sagte, er würde sie noch einmal sehen und vorspielen lassen müssen. Chas ließ seinen Blick prüfend durch die Wohnung schweifen – die modische, ordentliche Schlafzimmertür war verschlossen.
    »Leben Sie allein?«, fragte Chas.
    »Hab vor Kurzem den Laufpass bekommen! Beschreiben Sie mir doch Ihre Tochter noch einmal, ich kann mich nicht an sie erinnern.«
    »In Ordnung, lassen Sie mich nachdenken. Sie hat … braunes Haar, sie ist witzig, und sie hat ein wunderschönes Lächeln. Sie sieht hübsch aus und hat einen tollen schottischen Akzent.«
    »Aus Schottland?«
    »Glasgow. Southside.«
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    Mike kam mit dem Kaffee herein und setzte sich.
    »Erzählen Sie mir mehr.«
    »Lassen Sie mich nachdenken, sie ist schlau und sie ist … verängstigt, lässt nicht zu, dass jemand sie liebt. Sie heißt Krissie Donald, und sie ist die beste Freundin Ihrer früheren Stieftochter Sarah. Erinnern Sie sich jetzt?«
    Die samtweiche Raspelstimme verwandelte sich in reinen Granit. »Wer sind Sie?«
    Chas stand auf und ging auf das Schlafzimmer zu. Er hatte über Pädophile gelesen und wusste, wonach man in ihren Häusern Ausschau halten musste – Kinderfallen wie Spielzeug und Süßigkeiten, wohlüberlegte praktische Einrichtungen wie Türen, die normalerweise kein Schloss benötigen.
    »Warum haben Sie ein Schloss an Ihrer Schlafzimmertür?«
    »Gehen Sie weg oder ich rufe die Polizei.«
    Chas ging in das Schlafzimmer.
    »In Ordnung, rufen Sie sie an, und sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie fertig sind.«
    Chas hob einen der vielen Teddybären auf dem Bett hoch. »Warum haben Sie all diese Teddybären? Dieses Bett?«
    Mike war dunkelrot angelaufen. »Was wollen Sie?«
    »Am liebsten würde ich Sie umbringen, aber damit würde ich mein Leben ruinieren, und darauf habe ich keine Lust. Deshalb begnüge ich mich mit einem umfassenden Geständnis.«
    Chas drückte die Aufnahmetaste des Diktaphons, das er am selben Tag in Kensington erworben hatte.
    Mike verließ das Schlafzimmer, griff nach seinen Schlüsseln und ging aus der Wohnung.
    Chas folgte ihm durch die Haustür auf die Straße.
    »Er ist ein Pädophiler!«
    Chas blieb immer einen Schritt hinter ihm. Leute drehten sich um und schauten ihnen hinterher, und eine Frau, die gerade ihren stets hilfsbereiten Nachbarn angelächelt hatte, wirkte verwirrt und aufgebracht, als Chas sie anschrie: »Er ist ein Monster.«
    Mike beschleunigte seine Schritte und rannte fast,
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