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Für hier oder zum Mitnehmen?

Für hier oder zum Mitnehmen?

Titel: Für hier oder zum Mitnehmen?
Autoren: Ansgar Oberholz
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einige als futuristisch oder auch militärisch beschreiben würden. Eben diesen Helm hatte ich bereits aufgesetzt, das fällt mir jetzt erst wieder ein.
    »Ich bin der Betreiber dieses Etablissements«, antworte ich ungelenk.
    Den Körper des Drogenabhängigen durchdringt eine wachsende Spannung. Wir stehen viel zu dicht beieinander. Der Raum vor den Kabinen ist klein und beheimatet zudem auch noch vier Pissoirs. An diesem Punkt bereue ich endgültig und von tiefstem Herzen, Milenas Forderung nachgegeben zu haben. Ich rechne mit dem Schlimmsten, stelle mich auf eine körperliche Auseinandersetzung ein, zum Glück trage ich einen Helm, da kann es nicht ganz so böse werden. Im Kopf unter dem Helm plane ich hektisch meine Flucht.
    Er schlägt die Hacken zusammen und salutiert.
    »Reinhardts! Siebenundzwanzigstes Infanterieregiment meldet sich gehorsamst zum Dienst«, brüllt er. Dabei schießt sein Unterkiefer bei jedem Vokal merkwürdig hervor, und er verliert das ein oder andere Speichelmolekül an die Luft in diesem kleinen Toilettenraum, in dem ich der fliegenden Flüssigkeit nicht ausweichen kann. Dann passiert nichts mehr. Er steht schnurgerade vor mir, hält den gesamten Körper unter Spannung und die Hand zum militärischen Gruß an die Schläfe. Sein Blick leer, durch mich hindurchgehend. Wie ein Roboter, der auf weitere Anweisungen wartet.
    »Achtung!«, brülle ich zurück. »Stillgestanden und abtreten!«
    Herr Reinhardts schlägt noch einmal die Hacken aneinander, nimmt den Arm herunter, nickt mir respektvoll zu und verlässt die sanitären Anlagen.
    Die Eingangstür der Toilette hält er höflich auf und wartet, dass ich das Angebot annehme, dabei starrt er geradeaus. Ich zögere kurz und entscheide dann, dass es das Beste sei, das Spiel nun auch zu Ende zu bringen.
    Er sieht nicht aus wie ein Drogenabhängiger. Seine unauffällige Kleidung, schwarze Jeans, Heavy-Metal-T-Shirt und Motorradlederjacke, duftet nach Weichspüler. Noch recht jung, dafür, dass er bereits eine Militärausbildung hinter sich hat.
    Als ich an ihm vorbeigehe, sehe ich unter den kurz geschorenen Haaren eine Totenkopftätowierung. Ich will ihn nicht hinter mir haben, deshalb trete ich einen Schritt beiseite. »Bitte, nach Ihnen!«, sage ich freundlich. Auch diesen Vorschlag befolgt er.
    Milena wirft mir anerkennende Blicke zu, als Herr Reinhardts vor mir im Stechschritt die Treppe hinuntergeht. Ohne weiteren Ärger zu verursachen, verlässt er das Lokal. Sie kommt aus dem Tresen, greift mich am Oberarm und begleitet mich sehr zufrieden zu meinem Fahrrad.
    »Dem hast du es aber gezeigt. Deinen Feierabend hast du dir nun wirklich verdient.«
    Ich kann nichts sagen, öffne wortlos das Fahrradschloss. Milena streicht mir über den Helm. »Ruh dich einfach ein bisschen aus. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.«
    Ich blicke mich um, während ich warte, dass die Ampel auf Grün schaltet. Milena steht vor dem Café und lächelt, sie winkt mit ihrem Glaspoliertuch. Etwas weiter hinten sitzt Magnus rauchend vor dem Café, sehr nah bei Kaja. Schön, dass Kaja auch Anschluss an das Team findet. Ich werde das Fahrrad den Weinbergsweg hinaufschieben, zum Fahren fehlt mir die Kraft.
    Herr Reinhardts hat auf alte, tief eingeschliffene Hierarchien reagiert. Das funktionierte mühelos, sogar in dieser Ausnahmesituation. Deshalb hat das Militär die Rangfolge erfunden. In jeder Situation ist klar, wer das Sagen und wer was zu tun hat. Drogenabhängige befinden sich im permanenten Ausnahmezustand, innerlich im Kriegszustand mit sich selber.
    Dieses Mal habe ich meine Aggression passend kontrolliert und gewinnbringend für alle Beteiligten eingesetzt. Bei Herrn Reinhardts konnte ich etwas wie Erlösung bemerken, als die alten militärischen Strukturen wieder an ihn herangetragen wurden. Das Militär hat die Hierarchien nicht erfunden, sondern sie sich bei der Natur abgeschaut. Wieso denke ich, dass ich, wider die Grundsätze der Natur, eine Rotte ohne Hierarchie leiten könne? Der unternehmerische Alltag beweist mir ständig das Gegenteil. Mein Unternehmen führt auch innerlich Krieg, und ich bin der Dealer, der immer wieder die Droge besorgt.
    Die Teamsitzung wird eine gute Gelegenheit sein, um das Thema aufzugreifen und wunderschöne klassische Befehlsketten aufzubauen. Leider war ich nie beim Militär. Ich werde Florian um Rat fragen, der hat es sogar zu einem Obergefreitentitel gebracht. Vor allem kennt er auch die klassischen
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