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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition)
Autoren: Zoë Marriott
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ihnen entkommen.
    Doch dann geriet mein Fuß in ein Loch und ich verdrehte mir den Knöchel. Ich stürzte und versuchte vergeblich mich an Gestrüpp festzuhalten. Ich rappelte mich wieder auf und ignorierte das Pochen in meinem Bein – aber es war zu spät. Ulem und Marik standen hinter mir auf dem Hang und mit diesem Knöchel käme ich nie die andere Seite hinauf. Ich saß in der Falle.
    Mariks Augen waren zornig und kalt, so wie jeden Tag, seit die Priester den Scheiterhaufen seiner Mutter angezündet hatten. Er hielt einen Stein in der Hand.
    Ich schrie vor Schmerz, als er mich an der Brust traf. Ich presste die Hand auf die pochende Stelle, Wut vertrieb Mas warnende Stimme aus meinem Kopf. »Wirfst du jetzt schon mit Steinen nach Mädchen? Feigling!«
    Seine Antwort bestand darin, sich nach einem heruntergefallenen Ast zu bücken und ihn nach mir zu schleudern. Ich sprang zur Seite, aber dem Stein, den Ulem gleichzeitig warf, konnte ich nicht ausweichen. Er traf mich an der Schulter. Ich fühlte, wie etwas knackte, und schrie – doch der Schrei verstummte, als ein weiteres Geschoss meine geschwollene Wange streifte. Mir wurde schwindlig vor Schmerz. Ich fiel auf die Knie, wütendes, würgendes Keuchen nahm mir die Luft.
    Kämpfe nicht gegen sie. Bleib ruhig. Geh ihnen aus dem Weg.
    Etwas Warmes lief mir über die Wange. Wärmer als Tränen. Es tropfte auf meine Faust, mit der ich mich auf der Erde abstützte.
    Es war rot.
    Irgendwo in der Nähe begann ein Wolf zu heulen.
    Ich starrte auf die glänzenden, purpurfarbenen Tropfen auf meiner Hand. Noch immer prasselten Steine und gefrorene Matschklumpen und Äste auf mich nieder. Ich fühlte sie nicht mehr. Ein tiefer, krampfartiger Schauder lief meine Wirbelsäule entlang und ließ meine Muskeln zucken. Die Haut unter den Blutstropfen begann sich zu verändern. Silbrig weiße Muster breiteten sich wie Frost – wie Eisblumen – auf der braunen Haut aus.
    Mein ganzer Körper zitterte. Mir war kalt.
    So kalt.
    Der Wolf heulte. Näher nun. Er pirschte sich an.
    Hörten Ulem und Marek ihn nicht? Sie sollten besser davonlaufen. Warum liefen sie nicht davon?
    Das Heulen übertönte alles andere. Es vibrierte durch meine Knochen, trübte meinen Blick und ließ meine Zähne klappern. Doch Marik und Ulem konnten es noch immer nicht hören.
    Nur ich.
    Und mir wurde klar: Es war nicht draußen im Wald. Es war in mir. Der Wolf war in mir.
    Hab keine Angst, meine Tochter
, heulte er.
    Ich bin hier.
    Ich werde dich beschützen.

Neun Jahre später

Eins
    Mein Mund schmeckte nach Staub und Eisen.
    Der kühle weiße Nebel, der sich am frühen Morgen die Berghänge hinunterwälzte, war verschwunden, weggebrannt von der inzwischen hoch am Himmel stehenden Sonne. Von Zeit zu Zeit drang ein greller Lichtstrahl durch das silbrig blaue Laubdach und blendete mich. Ich hatte gelernt, mich mit halb geschlossenen Augen fortzubewegen. Meine Hüften und Füße schmerzten, als würde eine Schwellung abklingen. Schweiß juckte auf meinem Rücken, in meinen Kniekehlen und Armbeugen. Aus dem Zopf, der um meinen Kopf festgesteckt war, hatten sich dunkle, lockige Haarsträhnen gelöst, die, gleichgültig wie oft ich sie zurückzustreichen versuchte, feucht auf meiner Haut klebten.
    Ich war schon so lange unterwegs.
    Als ich gerade wieder Haare aus meinem Gesicht blies, brach plötzlich die trockene Erde unter meinem linken Stiefel weg. Zur Seite taumelnd klammerte ich mich an den biegsamen Baumwurzeln fest, die aus der Böschung ragten, um mich vom Abgrund wegzuziehen. Der Pfad war gefährlich schmal und schlängelte sich am Berg entlang. Wenn ich abstürzte, wäre es ein sehr langer Fall den steilen, stufenförmigen Abhang hinunter in den Fluss, der in der Tiefe toste. Wahrscheinlich gelänge es mir nie wieder, auf den Pfad zurückzuklettern.
    Ich fand mein Gleichgewicht wieder und ließ mit einem müden Seufzen die Wurzeln los, um mir die rote Erde von den Händen zu klopfen. Die ersten Male, als der Pfad unter mir weggebrochen war, hatte ich Herzrasen und zittrige Finger gehabt, doch mittlerweile war ich zu erschöpft, um mich von diesen Begegnungen mit dem Tod noch aus der Fassung bringen zu lassen.
    Der Busch vor mir raschelte.
    Ich erstarrte.
    In den Blättern bewegte sich etwas. Etwas Großes.
    Ein Wegelagerer? Nein. Dafür war der Busch nicht groß genug.
    Dann ein Tier. Ein Leopard?
    Bei einem Leoparden hätte ich keine Chance.
    Meine Füße fühlten sich an, als wären sie in der
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