Fröhliche Wiederkehr
zu einer neuen Ehe entschloß. Aber wenn seine erste Frau ihrer Schwester Marie ähnelte, die manchmal von Alt-Ukta herüberkam, um die Kinder ihrer Schwester zu beschenken, dann kann ich mir die Schwierigkeiten vorstellen, die Vater mit ihr gehabt hat. Diese Tante Marie war eine übernervöse, ständig zwinkernde Frau mit fahrigen Gebärden, einer schrillen Stimme und von einer ewigen Unrast erfüllt. Vater meinte, sie habe Ameisen im Hintern, eine Vorstellung, die meine Phantasie lebhaft bewegte. Sie war ständig unterwegs, und eines Tages erschien sie bei uns, verkündete, daß sie nach Italien fahren und meine Schwester Lotte in das Land der Orangen und Zitronen als Reisebegleiterin mitnehmen wolle. Es war einer ihrer spontanen Beschlüsse, mit denen sie sich und ihre Umgebung überraschte. Ein Koffer wurde also in Windeseile gepackt, und noch am gleichen Abend reisten die beiden gen Süden ab. Es war eine sehr kurze Reise, denn noch bevor Lottes bunte Karte aus Lugano eintraf, daß sie die Reise gut überstanden und am Lago Maggiore in einem schönen Hotel abgestiegen seien, kamen sie schon wieder zurück. Was man aus dem sprudelnden Mund von Tante Marie erfuhr, waren empörte Aufschreie: »Nein! dieses schreckliche Olivenöl! Nie wieder Italien!« und: »Keine Butter! Nichts als Spaghetti! Bin ich eine Mastgans?!« und das Allerschlimmste: »Diese Schlaflosigkeit! Nacht für Nacht und bis in den frühen Morgen hinein — die Nachtigallen brüllten förmlich!!« — Die brüllenden Nachtigallen wurden in der Familie zum geflügelten Wort. Aber wie es so geht, einige Jahre später sollte ich selber die Bekanntschaft der brüllenden Nachtigallen machen.
Ich studierte im zweiten Semester Germanistik und Geschichte und hatte Vater in mühevoller Geduldarbeit weich gekocht, mich ein oder zwei Semester an der Wiener Albertina die Vorlesungen von Dopsch und Jellinek hören zu lassen. Um ehrlich zu sein, zogen mich weniger die Namen der berühmten Professoren als vielmehr der Ruf der süßen Wiener Mädchen an die Donau, von denen man in Wort und Lied bis nach Ostpreußen hinauf so viel Gutes vernahm. Vater gab mir hundertfünfzig Mark auf die Reise mit und schickte mir später monatlich hundertzwanzig Emmchen, die für die Zimmermiete bei Fräulein Jöröschy in der Lerchenfelderstraße Nr. 7, fürs Brot und für die Butter und auch für die Schoppen in Grinzing und Hernals langen sollten. Sie langten vorn und hinten nicht, und am wenigsten für meine Theaterbesessenheit; wenn auch der Galerieplatz in der Burg nur eineinhalb Schilling, nach deutschem Geld fünfundsiebzig Pfennige kostete, so war ich mit meinen Moneten jedesmal zur Monatsmitte am Ende. Deshalb schrieb ich für den liebenswürdigen Dr. Goldstein, der die Feuilleton-Redaktion der Hartungschen Zeitung leitete, >Wiener Briefe< und Kurzgeschichten, die er nicht nur annahm, sondern sogar honorierte, und ich gab, was weit lukrativer war, zwei amerikanischen Studentinnen, die sich mit der deutschen Sprache herumplagten, deutschen Sprachunterricht. Und sie zahlten dafür einen Dollar pro Stunde. Ein fürstlicher Lohn! Dafür lernten sie von mir ein prima Ostpreußisch mit ganz weiiichen Eiiis und hart rollenden Rrrrrs, die ich nie im Leben abgelegt habe. Und eine von ihnen, Mabel, lernte diese schönen gedehnten Vokale und harten Konsonanten besonders gut, denn wir entbrannten in heißer Liebe zueinander. Von da an nahm ich den Dollar natürlich nur noch von ihrer bedeutend weniger hübschen Kollegin Violet. Mabel studierte zum reinen Spaßvergnügen. Sie entstammte einem gutbetuchten Haus, der Vater besaß in Cleveland eine Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen. Als wir den Plan faßten, unsere Liebe an einem Ort, der für Liebespaare sozusagen heiliger Boden ist, zum Gipfel zu führen, war ich ihr nicht böse, daß sie statt der von mir vorgeschlagenen Reise per Fahrrad sich doch lieber für die weitaus bequemere Eisenbahnfahrt nach Verona entschied, zumal sie sich freudig bereit fand, für den Hauptteil der Reisekosten aufzukommen. Es sollte zugleich unser Abschied für immer sein, denn das Semester war zu Ende, und Mabel wurde daheim in Cleveland zurück erwartet. Sie hatte ihre Schiffspassage von Genua bereits gebucht.
Wir verließen also Wien, wohin ich im Wintersemester zurückzukehren hoffte, und fuhren nach Verona, und die Stadt an der Etsch schlug uns sogleich in ihren Zauberbann. In der Nähe des Arco dei Leoni fanden wir ein kleines Hotel, in
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