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Friesenrache

Friesenrache

Titel: Friesenrache
Autoren: authors_sort
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Hübsche«, begrüßte er sie. Er schob ihr langes blondes Haar zärtlich zur Seite und küsste sie in den Nacken.
    »Und, steht was über Haies toten Freund drin?«
      Sie zuckte mit den Schultern. »Hab mich gerade erst hingesetzt! Möchtest du auch einen Tee?«
      Er nickte und griff nach der Zeitung. Bereits auf der Titelseite wurde auf einen Bericht über den toten Landwirt im Maisfeld hingewiesen. Der Artikel befand sich nur wenige Seiten weiter hinten im Regionalteil und wurde von einem riesigen Bild des Maishäckslers dominiert, das den Eindruck erweckte, Kalli Carstensen wäre bei einem Unfall mit dem Erntegerät zu Tode gekommen.
      »Die schreiben gar nichts über die Todesursache«, bemerkte Marlene, die ihrem Freund beim Lesen über die Schulter geblickt hatte.
      »Vermutlich wissen sie auch noch nichts. Hat Haie sich eigentlich schon gemeldet? Vielleicht hat er was rausgefunden.«
      Marlene erzählte, der Freund habe sie am Morgen zwar kurz angerufen, aber über den Tod des Schulfreundes kein Wort verloren.
      »Er hatte es wohl ziemlich eilig. Wollte nur Bescheid sagen, dass er später zum Essen kommt. Apropos Essen, ich muss noch einkaufen, kommst du mit?«

    Wenig später spazierten sie Hand in Hand die Dorfstraße entlang. Das Dorf erschien Tom im Gegensatz zu München, wo er bis vor gut vier Jahren noch gelebt hatte, als ein friedlicher Ort. Das geschäftige Treiben der Stadt, der ewig plagende Föhn, die Blechlawinen, die sich durch die Innenstadt wälzten – all das fehlte ihm nicht wirklich. Das kleine Dorf in den Weiten Nordfrieslands, die würzige Seeluft und vor allem die Frau, deren Hand er momentan fest in seiner hielt, erschienen ihm geradezu paradiesisch. Mehr brauchte er nicht. Spontan blieb er stehen, schlang seine Arme um Marlene und küsste sie. Leicht verwundert über seinen plötzlichen Gefühlsausbruch blickte sie ihn an.
      »Ich liebe dich«, sagte er. »Und genau hier möchte ich alt und grau mit dir werden.«
      Sie lächelte und fragte sich, wann er ihr wohl endlich einen Heiratsantrag machen würde. Sie hatten zwar noch nie darüber gesprochen, ihre gemeinsame Zukunft eigentlich immer sehr offengehalten, aber trotzdem wünschte sie sich, dass er eines Tages vor ihr niederknien und um ihre Hand anhalten würde. Sie für ihren Teil hatte jedenfalls den Mann fürs Leben gefunden, und Toms Liebesbeteuerung zufolge war auch sie seine Traumfrau. Warum also sollten sie nicht heiraten und vielleicht sogar Kinder …?
      »Marlene?«
      Sie war völlig versunken in ihre Träumereien und hatte gar nicht mitbekommen, was er gesagt hatte.
      »Bitte?«
      »Oder ob es dir etwas ausmacht, dass hier in der Gegend tote Landwirte in irgendwelchen Maisfeldern aufgegabelt werden?«
      »Mensch Tom!«, fuhr sie ihn an, enttäuscht darüber, dass er seine Äußerung bereits wieder ein wenig ins Lächerliche zog. Ihre romantische Stimmung war mit einem Schlag verschwunden. »Das ist nicht witzig!«
      »Ich weiß.«
      Schweigend liefen sie weiter.
      Als sie ein paar Minuten später den kleinen SparLaden an der Dorfstraße betraten, begrüßte die Besitzerin sie gleich mit den Worten: »Haben Sie schon das von Kalli Carstensen gehört?«
      Der Laden war der größte Umschlagplatz für Klatsch und Tratsch im Dorf. Man sollte es nicht für möglich halten, welche Themen in dem kleinen Supermarkt aufgegriffen, diskutiert, verurteilt, befürwortet oder sonst wie erörtert wurden. Daher war es eigentlich auch nicht verwunderlich, dass die meisten Gerüchte hier ihren Ursprung fanden. Ein toter Landwirt, über dessen Ableben man noch nichts Genaues wusste, löste jedoch eine Art Ausnahmezustand in dem Laden aus und animierte Käufer und Verkäufer zu den heißesten Spekulationen.
      Schon spähte eine ältere Dame hinter einem der Regale hervor.
      »Ich sag dir was, Helene. Wenn Ingwer den man nicht doch absichtlich mit dem Mäher …«, ereiferte sie sich zwischen Konservenobst und Toilettenpapier.
      »Ach, watt«, winkte die Ladenbesitzerin wissend ab. »Wenn du mich fragst, hatte der wahrscheinlich mal wieder einen über den Durst gesoffen und is' einfach krepiert.«
      Marlene war einmal mehr erschrocken von der nüchternen Darstellungsweise der Dorfbewohner. Bereits gestern hatte sie teilweise fassungslos die wilden Spekulationen der Gäste der kleinen Wirtschaft verfolgt. Doch noch ehe sie die beiden Damen um etwas mehr Pietät und Rücksichtnahme
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