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Fremde

Fremde

Titel: Fremde
Autoren: Gardner R. Dozois
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und Optin, die es wünschen, sie kommen herein in unsere Welt. Und das Kalte Volk steigt durch die Tore herauf, und die Fruchtbare Erde stirbt und wird zu gefrorener Asche, denn das Haus Dûn stellt den Einfluß für diese Jahreszeit. Und deshalb der Alàntene .«
    »Das ist – nicht ganz, was ich mir vorgestellt haben«, sagte Farber ein wenig bestürzt. »Tatsächlich macht es mir sogar etwas Angst. Warum …« Er hatte zum Teufel sagen wollen, erkannte dann aber, daß die einzige mögliche Übersetzung zum Herrn von Dûn gewesen wäre. »Warum, um alles in der Welt, habt ihr für so eine Sache ein Fest, einen Feiertag? Daß es eine Zeremonie gibt, könnte ich ja verstehen, aber warum feiert ihr?«
    Sie zuckte wieder die Achseln. »Trotz all der bevorstehenden Kälte und dem Tod ist schließlich das alte Jahr gegangen, ertrunken und hat alle alten Probleme und Sorgen mit sich genommen. Ein altes Jahr vergangen, ein neues Jahr geboren – wie schlecht es auch immer sein mag. Vielleicht ist das etwas zum Feiern, we?« Sie sah Farber aufmerksam an. »Und die Zeit hört während des Alàntene zu existieren auf. Es ist die Pause zwischen dem Vergehen eines Rhythmus’ und dem Beginn eines neuen, das bewegungslose und unbewegte Zentrum, die Stille zwischen den Synkopen des Weltherzens. Unerschaffen und ewig. So wird es uns erklärt. Në, gefällt Ihnen das? Es bedeutet, daß wir beide immer hiergewesen sind und zusammen über den Alàntene sprechen und immer hiersein und über alle Alàntene sprechen werden. Ganz gleichgültig, wo wir während des Alàntene vergangener Jahre gewesen sind – auch dort sind wir immer, ja, aber auch immer hier. Ja! Finden Sie das schön?« Und sie lachte, das Gesicht düster und starr, der Blick der Augen unergründlich, trotzdem lachte sie.
    Es blieb Farber unergründlich, wieviel von alledem sie ernst nahm; jedesmal, wenn er dachte, ihre Stimmung endlich erfaßt zu haben, änderte sich ihr Wesen dramatisch, oder es schien wenigstens so, und die Worte, die sie sagte oder gesagt hatte, standen für eine völlig neue Interpretation offen. Es war unmöglich für sie, ihm die tieferen Bedeutungen des Festes zu erklären, ja, sie konnte ihm selbst von den oberflächlichen Erscheinungen vieles nicht verständlich machen. Immer wieder verlor sie sich in Allegorien und Symbolen und Andeutungen, denen er nicht folgen konnte, und ihr blieb nichts anderes übrig, als mit den Achseln zu zucken und zu lächeln und ihm zu sagen, daß er nicht genug wüßte, um zu begreifen. Dann waren sie eine Weile still, bis sie schließlich zu ihrem Spiegelbild im Fenster gewandt sagte: »Die Optin kommen während des Alàntene in unsere Welt. Sie sind Geister, die von einem Menschen Besitz ergreifen und ihn zu bösen Taten treiben. Oder manchmal nehmen sie auch selbst die Gestalt von Menschen an und wandeln in der fremden Welt des Fleisches oder dem, was Fleisch zu sein scheint, umher. Sie könnten auch ein Optin sein«, meinte sie nach einer bedeutungsvollen Pause zu ihm. Plötzlich brach sie wieder in ihr silbernes Lachen aus. »Und ich natürlich auch.«
    Wieder wurde es still. Sie blickte auf ihr Spiegelbild im Fenster und sah nicht mehr zu ihm hin. Er konnte das winzige, rhythmische Heben ihres Bauches sehen, wenn sie atmete, den Puls der Ader in ihrer Halsbeuge, die Art, wie ihr Haar über ihre Schläfe, ihre Wange, ihren Nacken strich. Es war heiß hier, gewiß, aber so heiß sicher nicht. Sie bog sich weiter von ihm fort, als beuge sie sich vor, um etwas weit Entferntes am Strand besser beobachten zu können. Durch das Vorstrecken des Kopfes zeichneten sich die Spitzen ihrer Rückenwirbel scharf gegen den Stoff ihres Kleides ab, und er konnte ihre Schulterblätter deutlich erkennen. Sie wandte sich nicht mehr um, sagte nichts mehr. Ohne sich dessen richtig bewußt zu werden, war er immer näher gerückt, bis er sie schließlich beinahe, aber nur beinahe berührte. Sein Blut sprach schon eine ganze Zeit zu ihm, sprach ihn mehr an als ihre Worte, und nun war das Rauschen seines Blutes alles, was er hören konnte. Ihre Wärme und ihr Geruch überwältigten ihn. Er hob die Hand und streckte sie langsam aus, während ein weit entfernter Teil seines Ichs voll Angst und Entsetzen dachte: Du weißt nicht einmal, ob sie einen Ehemann oder einen Liebhaber hat oder welche Strafen sie hier für so etwas haben, Gefängnis, Hinrichtung, Kastration. Und er legte die Hand auf ihre Schulter, fühlte die flachen Muskeln
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