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Fremde Wasser

Fremde Wasser

Titel: Fremde Wasser
Autoren: Wolfgang Schorlau
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heiß. Nicht nur die Produktion funktioniert nach diesem Prinzip. Jeder, der in diesem
     System keinen Platz mehr hat, wird aussortiert, sagt Seitzle bitter. Die Schüler schweigen ernst, sie alle wissen, dass Seitzle
     seine Arbeit verloren hat. Einer der Jungs vom Hölderlin erzählt von dem Krankhaus, in dem seine Mutter arbeitet. Auch dort
     ginge es in erster Linie um Geld, nicht um die Gesundheit der Patienten. Das Bildungswesen, sagt Heike ernst: Es dient nur
     dazu, uns zu Kapitalfunktionären auszubilden, die für andere aus G G' machen sollen.
    Sie haben die Weltformel entdeckt. Jetzt können sie alle anderen Erscheinungen verstehen. Ein nie gekanntes Glücksgefühl überwältigt
     sie.
    »Diese Weltformel ist nicht nur unmenschlich«, sagt Crommschröder und lehnt sich in seinem Stuhl zurück, »sie ist auch zutiefst
     langweilig.«
    Er sieht Heike an.
    Sie blickt zurück. Ernst. Interessiert und ohne jede Scheu. Jürgen geht an diesem Abend wütend allein nach Hause. Crommschröder
     bringt Heike bis zu ihrer Tür, legt den Arm um ihre Hüfte. Zum zweiten Mal an diesem Tag schießt überschäumend Adrenalin in
     seine Blutbahnen.
    Meins, denkt er.

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    Bausachen
    Einer der Fälle, die Dengler zurzeit bearbeitete, gehörte zur Kategorie »wieder so eine langweilige Bausache«, wie Martin
     Klein zu spotten pflegte. Denglers Auftraggeberin war eine Stuttgarter Witwe in den Sechzigern, die in einer Villa an der
     Hasenbergsteige wohnte. Sie hatte viele Jahre in Frieden mit ihren Nachbarn gelebt. Ihr verstorbener Mann und der Nachbar
     waren Mitglieder im gleichen Golf-Club gewesen. Man traf sich hin und wieder, die beiden Ehefrauen organisierten eine Spendensammlung
     für die Heusteigschule und kauften beim selben Galeristen ein. Die Kinder gingen zeitweise in dieselbe Klasse des Karlsgymnasiums.
     Die Nachbarin war vor elf Jahren bei einem Verkehrsunfall umgekommen. Die Polizei schloss Selbstmord nicht aus. Und vor fünf
     Wochen war auch der Mann gestorben. Die Villa war nun verwaist. Denglers Klientin verdächtigte nun die Kinder des Verstorbenen,
     das Grundstück der Villa bebauen zu wollen. Sie rechnete sogar damit, dass die Erbengemeinschaft die alte Villa niederreißen
     würde, um ein mehrstöckiges Wohnhaus zu errichten. Dagegen wolle sie vorgehen, erklärte sie Dengler. Er solle herausfinden,
     was diese Erbengemeinschaft plane. Dengler fragte die alte Dame nicht, warum sie nicht mit den Erben selbst sprach, schließlich
     kannte sie die Leute von Kindesbeinen an. Er kassierte einen hohen Vorschuss und machte sich an die Arbeit.
    Georg Dengler setzte sich hinter seinen Schreibtisch und fuhr seinen Rechner hoch. Die Software, die nun startete, hatte er
     vor einigen Wochen beschafft, und sie hatte die Hälfte des Vorschusses verschlungen. Er setzte die Kopfhörer auf und stöpselte
     sie in den Rechner. Mit diesem neuen Überwachungsprogramm konnte er Telefone aus der Ferne in Mikrophone verwandeln. Voraussetzung
     war jedoch, dasses sich um digitale Apparate handelte und dass sie über eine Freisprechfunktion verfügten, die auch bei aufgelegtem Hörer
     eine Verbindung ermöglichte. Der Empfang war zwar häufig gedämpft und undeutlich, aber Dengler speicherte die Aufnahmen auf
     seinem Rechner, und mit einem weiteren Programm konnte er die Audiodateien so bearbeiten, dass sie letztlich gut verständlich
     waren.
    In diesem Fall wurde sein Vorgehen dadurch erschwert, dass die Villa mehrere Nebenanschlüsse besaß. Er musste verschiedene
     interne Nummern anwählen, aber nach einer Stunde hatte er die richtige Verbindung. Auch schien das Telefon in der Nähe der
     Sprechenden zu stehen, vielleicht auf einem Schreibtisch oder einem Besprechungstisch, jedenfalls konnte er den Verhandlungen
     ohne Mühe folgen.
    Die Erbengemeinschaft bestand aus drei erwachsenen Kindern, zwei Männern und einer Frau, die alle ihre Anwälte mitgebracht
     hatten. Ehe- oder sonstige Lebenspartner schienen nicht dabei zu sein, oder sie hielten den Mund.
    Der älteste Sohn, ebenfalls ein Anwalt, erklärte sich bereit, die Villa der Eltern zu übernehmen. Schließlich sei er der Einzige,
     der noch in Stuttgart lebe. Seine beiden Geschwister wolle er auszahlen. Diese schienen nicht abgeneigt, aber nun konfrontierten
     sich die drei gegenseitig mit Erwartungen, Zahlen und Summen, die Dengler erschreckten. Mehrere Stunden verhandelten sie,
     es ging laut zu, die Frau weinte einmal laut, aber nach vier Stunden hatten
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