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Fremde Wasser

Fremde Wasser

Titel: Fremde Wasser
Autoren: Wolfgang Schorlau
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eigenen
     Lager. Keetenheuve winkte ihr zu. Sie verzog das Gesicht. Es sollte freundlich wirken, aber sie wusste nicht, ob ihr das gelang.
     Sie mochte Keetenheuve.
    Auch so ein aussterbender Dinosaurier, schade, dass wir nicht mehr von seiner Sorte haben.
    Die rote Lampe an der Deckenuhr leuchtete jäh auf. Die Abgeordneten wurden zur Abstimmung gerufen. Mühsam stützte sie sich
     ab und stand wieder auf. Sie ging durch den Tunnel hinüber ins Herz des Bundestages. Sie beachtete nicht die sorgfältig freigelegten
     und restaurierten Inschriften der russischen Rotarmisten, mit denen sie sich an den Wänden des Reichstages verewigt hatten,
     als sie das Gebäude im Mai1945 gestürmt hatten. Auf der Plenarsaalebene blieb sie noch einmal stehen. Sie hob die Hand zu einer Geste, als könne sie
     den Gummireifen in ihrer Brust abstreifen. Mit einem Mal wusste sie nicht mehr, ob ihre Kräfte reichen würden.
    In ihrem Innern war nun ein Dröhnen, das alle äußeren Geräusche übertönte: das Gespräch zweier Parlamentsmitarbeiter, die
     Stimme des Präsidenten, die aus dem Plenarsaal drang und mit der er nun den nächsten Tagesordnungspunkt aufrief, die soundsovielte
     Änderung des Gesetzes zur Beschränkung des Wettbewerbs, und die erregte Diskussion zweier Journalisten, die sich in den schwarzen
     Ledercouchs der Lobby fläzten.
    Sie betrat den Plenarsaal durch den Osteingang. Vorbei an den fünf weißen Stehkabinen, die bei Wahlen aufgestellt werden und
     die sie immer an Beichtstühle erinnerten. »Geht es Ihnen nicht gut, Frau Schöllkopf?«, fragte Korf, der alte Saaldiener, der
     so verknittert aussah, als habe er schon Adenauer die Türen aufgehalten.
    Mir geht es beschissen.
    Einen Augenblick nur blieb sie stehen, berührte kurz den Arm des alten Mannes im schwarzen Frack.
    »Geht schon, Korf, geht schon. Muss ja.«
    »Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf. Neuregelung des Paragraphen 103 a, alte Fassung des Gesetzes zur Beschränkung des
     Wettbewerbs. Das Wort erteile ich der Kollegin Schöllkopf«, sagte der Präsident.
    Einige der Abgeordneten drehten sich um. Sie sah die gerunzelte Stirn des Fraktionsvorsitzenden. Seine Missbilligung schlug
     ihr entgegen. Er mochte sie nicht.
    Gleich wirst du mich noch weniger mögen.
    Sie ging nun zwischen den leeren Stühlen der Abgeordneten hinunter.
    Kopf hoch.
    Nur in den ersten drei Reihen des Plenums saßen Abgeordnete. Sie sah mäßig neugierige Blicke.
    »Wie siehst du denn wieder aus?«, zischte ihr ein Kollege aus der eigenen Fraktion zu.
    Der Reifen ist voll aufgeblasen. Er drückt von innen gegen ihren Brustkorb, und sie muss um jeden Atemzug kämpfen. Eine eiserne
     Faust presst sich in ihr Kreuz, eine eiserne Faust mit Nägeln gespickt, ein Morgenstern. Der Druck erfüllt nun ihren ganzen
     Oberkörper und die Arme. Noch nie in ihrem Leben hat sie eine solche Angst gehabt.
    Ihr Herz schlägt, als wolle es durch Brust und Hals ins Freie.
    Jetzt hat sie die Fläche vor dem Rednerpult erreicht. Sie sieht das Gesicht des Bundestagspräsidenten, und es kommt ihr vor,
     als habe er es zu einer höhnischen Fratze verzogen.
    Sie geht noch drei Schritte, dann lässt sie die beiden Blätter ihrer Rede fallen.
    »Frau Kollegin, ist Ihnen nicht gut?« Sie hört die Stimme des Präsidenten wie aus weiter Ferne.
    Der Saal ist so groß.
    Verwundert dreht sie sich um. Das weiße Licht, das durch die Kuppel fällt, erschien ihr noch nie so hell. Und die Paukenschläge!
     Merkwürdig. Noch nie hat sie diese wuchtigen Paukenschläge im Plenarsaal gehört.
    Im gleichen Rhythmus wie mein Herzschlag.
    Sie merkt nicht, wie sie langsam zusammensinkt. Sie hört nicht, wie der Präsident nach einem Arzt ruft. Sie hört nicht den
     gehässigen Kommentar eines Kollegen, da habe wieder mal jemand zu viel gesoffen.
    »Die Sitzung ist unterbrochen«, ist der letzte Satz, den sie hört. Sie denkt noch: Es stimmt nicht, es gibt keinen rückwärtslaufenden
     Lebensfilm. Die Enttäuschung darüber ist die letzte ihres Lebens.
    Dann ist es vorbei.

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    Ein neuer Auftrag
    Das Foto zeigte seine Frau auf dem Rücken liegend, die Augen geschlossen und den Mund geöffnet. Ihre Beine hatte sie gespreizt,
     sodass der Kerl im Anzug gerade dazwischenpasste, Hose und Unterhose nur so weit heruntergezogen, wie es notwendig war. Die
     Frau trug eine sommerliche Bluse. Der Rock war hochgerutscht, er lag wie ein Gürtel um ihre Taille. Man sah einen weißen Strumpfhalter
     auf der Haut ihres
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