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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus
Autoren: Sahra Wagenknecht
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Freiheit und gemeinsamer kultureller Traditionen sein. Der alte Kontinent, in den vergangenen Jahrhunderten so oft Schauplatz blutiger Kriege und grausamer Metzeleien mit ungezählten Toten, sollte zur erlebten und gefühlten gemeinsamen Heimat für die nächsten Generationen werden. Ausdrücklich als Gegenentwurf zum Modell eines ungezügelten Kapitalismus wurde erdacht, was sich damals – in wacher Erinnerung an die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre, an eskalierende Arbeitslosigkeit, Hunger und Massenelend – das »europäische Sozialmodell« nannte. Der große französische Staatsmann Charles de Gaulle forderte ein Wirtschaftssystem, in dem die »Schätze der Nation« nicht länger zum Vorteil und Profit weniger ausgebeutet werden können. In Deutschland erklärte Ludwig Erhard »Wohlstand für alle« zu seinem Ziel und gab an, die »alte konservative soziale Struktur«, die die Gesellschaft in wenige Superreiche und eine breite verarmte Unterschicht teilte, überwinden zu wollen. Weitgehende Chancengleichheit, unabhängig von der Herkunft, und soziale Absicherung bei Krankheit und im Alter waren die großen Versprechen der »sozialen Marktwirtschaft«. Nie wieder sollte Wirtschaftsmacht so groß werden, dass sie Märkte beherrschen und die Fundamente der Demokratie untergraben kann.
    Alles vorbei und vergessen. Im Zuge der Agenda 2010 wurde in Deutschland die gesetzliche Rente zerschlagen und die Arbeitslosenversicherung durch demütigende, Armut verfestigende Hartz-IV-Almosen ersetzt. Die Qualität der Behandlung Kranker wurde zu einer Frage des persönlichen Kontostands gemacht. An die Stelle regulärer Beschäftigung traten Befristungen, Minijobs, Werkverträge und Leiharbeit.Ein ähnlicher Umbau der Gesellschaft hatte in anderen europäischen Ländern schon früher begonnen. Beispielhaft steht für ihn der Name der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die mit eiserner Hand die Macht der britischen Gewerkschaften zerbrach und mit radikaler Deregulierung und Privatisierung die Ära des britischen Sozialstaates ebenso beendete wie die der englischen Industrie.
    Der Thatcherismus hatte viele Nachahmer. »Wohlstand für alle« ist heute kein Leitmotiv der deutschen Politik mehr, ebenso wenig wie der europäischen. Vielmehr sinkt der Wohlstand der Mehrheit, die gesellschaftliche Mitte wird schmaler, und das Wiederentstehen einer verarmten Unterschicht von beträchtlicher Größe wird uns als neue Normalität verkauft. In vielen Ländern werden die Mittelschichten heute mit der Streitaxt brutaler Sparprogramme regelrecht zertrümmert. Banken und Regierungen, allen voran die deutsche, diktieren von Athen über Rom bis Dublin sinkende Löhne, sinkende Renten und die radikale Kürzung von Bildungs-, Gesundheits- und anderen öffentlichen Ausgaben.
    Hellas ausgeplündert
    Was dabei im Besonderen der griechischen Bevölkerung zugemutet wird, ist geschichtlich allenfalls mit der Ausplünderung militärisch besetzter Länder nach einem verlorenen Krieg vergleichbar. Lohnkürzungen in der privaten Wirtschaft um mehr als 20 Prozent – nominal! –, drastische Eingriffe in erworbene Rentenansprüche, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst und die Streichung der staatlichen Gesundheitsausgaben um fast die Hälfte –, solche Brutalität gab es in Europa zu Friedenszeiten noch nie. In einem Land, das einst einen mit Deutschland vergleichbaren Lebensstandard hatte, sterben heute chronisch Kranke, weil der Staat ihre Medikamente nicht mehr bezahlt. Die Wirtschaft versinkt in Agonie, Monat für Monat gehen tausende Unternehmen bankrott. Jeder zweite junge Erwachsene ist arbeitslos. Eine ganze Generation startet ohne ausreichenden Lebensunterhalt, ohne Hoffnung und Zukunft ins Leben. Familien der früheren Mittelschicht verlieren erst ihre Arbeit und dann ihre Wohnungen, weil das gekürzte Arbeitslosengeld nicht ausreicht, auch nur die Miete zu zahlen, undohnehin nach einem Jahr gnadenlos endet. Mütter und Väter, die einst im Wohlstand lebten, müssen Angst haben, ihre Kinder nicht mehr ernähren zu können. Viele ziehen zurück zu ihren Eltern oder Großeltern, von deren Renten oft mehrere Generationen leben. Immer mehr sind auf Essensspenden und Armenküchen angewiesen. Die Obdachlosigkeit steigt beängstigend.
     
    Dass Griechenland, die Wiege der europäischen Kultur und Philosophie und die erste Demokratie in Europa, in den Debatten unserer Zeit fast nur noch als Synonym für Schlendrian, Faulheit
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