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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus
Autoren: Sahra Wagenknecht
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und Trickserei vorkommt, ist für sich ein untrügliches Zeichen für den Verfall all dessen, was in einem großen historischen Sinn unter
europäischen Werten
zu verstehen wäre.
     
    Ohne Aischylos und Sophokles kein modernes Drama, kein Shakespeare, Molière oder Schiller. Ohne Platon und Aristoteles kein Descartes und kein Hegel. Aber wer denkt heute, wenn von Griechenland die Rede ist, noch an Sophokles oder Platon? Oder an Solon, den Begründer, und Perikles, den klugen Gestalter der griechischen Demokratie? Heute geht es nicht mehr um Kunst, Geist oder Demokratie. Es geht nur noch um Haushaltsdefizite, Schuldenberge und Sparprogramme, um verlorene Milliarden und die Ansprüche der Gläubiger.
    Sparguillotine statt europäischer Werte
    Die griechische Katastrophe ist sicher die schlimmste in Europa, aber ein Einzelfall ist Griechenland nicht. Auch in anderen Ländern geht die Sparguillotine rücksichtslos auf öffentliche Leistungen, Mindestlöhne und Kündigungsschutzbestimmungen nieder. Während die Kaufkraft der Beschäftigten in Deutschland bereits seit über einem Jahrzehnt infolge schwacher Tarifabschlüsse und einer wachsenden Zahl von Hungerlohnjobs dahinschmilzt, sind die Reallöhne 2011 erstmals in der gesamten Eurozone eingebrochen. Armut lange nicht mehr gekannten Ausmaßes grassiert auch in Irland, Spanien oder Portugal. In Italien wird der Lebensstandard der Bevölkerung durch die Reformen des von keinem Italiener gewählten Ministerpräsidenten und Ex-Goldman-Sachs-Beraters Monti spürbar abgesenkt.
    Der Fiskalpakt: griechische Verhältnisse für Europa
    Der maßgeblich von der deutschen Regierung diktierte Fiskalpakt bedroht, wenn er je eingehalten werden sollte, ganz Europa mit griechischen Verhältnissen. Gemessen an der im Vertrag festgeschriebenen Neuverschuldungsgrenze waren die Ausgaben der europäischen Staaten 2011 um 235 Milliarden Euro zu hoch. Und was die deutsche Regierung gern verschweigt: Auch der vermeintliche Musterschüler verfehlte das Defizitkriterium klar. Selbst in einem konjunkturell guten Jahr wie 2011, in dem die Steuereinnahmen weit über den Prognosen lagen, hätten die Ausgaben für Bildung, Soziales oder Gesundheit in Deutschland um mindestens 20 Milliarden Euro gekappt werden müssen. Und das obwohl schon heute viele Kommunen unter dem Spardruck verzweifeln, in Krankenhäusern Pflegenotstand herrscht und das Bildungssystem, das die Basis unseres künftigen Wohlstands sein sollte, chronisch unterfinanziert ist.
    Würden die europäischen Staaten gar das ebenfalls im Fiskalpakt festgeschriebene Gesamtschuldenlimit von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung ernsthaft anpeilen, müssten bei gleichbleibenden Einnahmen in den nächsten 20 Jahren gigantische 2,8 Billionen Euro aus den öffentlichen Budgets herausgehackt werden. Derartige Sparziele würden den Staat als relevante Ordnungsinstanz gegenüber Wirtschaft und Markt endgültig erledigen. In einer solchen Zwangsjacke gibt es keine öffentliche Gewährleistung eines Mindestmaßes an sozialer Absicherung und Ausgleich mehr, obwohl das deutsche Grundgesetz genau dies zwingend vorschreibt.
    Alte Ressentiments kehren zurück
    Wenn die europäische Politik nur noch die Krise und die Brutalität eint, mit der sie den Staaten wahnwitzige Kürzungsprogramme aufzwingt, sollte sich niemand wundern, dass das europäische Projekt von vielen mittlerweile als Fluch empfunden wird. Aus zerstörten Lebenschancen wächst Hass. Neue Demütigung weckt die Erinnerung an alte. Während verzweifelte Griechen auf den Straßen Athens deutsche Fahnen verbrennen und auf den Titelseiten rechtsgerichteter griechischer Zeitungen Angela Merkel mit Hakenkreuz abgebildet wird, mokiert sichder deutsche Stammtisch über »faule Südländer«, die besser allein klarkommen sollten. Und dem Stammtisch sekundieren Politiker großer deutscher Parteien und nicht wenige angeblich seriöse Medien. Dass der Vorschlag, souveräne Länder über einen Sparkommissar unter deutsches Protektorat zu stellen, nicht von rechtspopulistischen Underdogs, sondern von bundesdeutschen Spitzenpolitikern in die Debatte gebracht wurde, sollte jeden, der nicht ganz geschichtsvergessen ist, schaudern lassen.
    Aber kann es anders gehen? Ist es nicht eherne Verpflichtung, Schulden, die man aufgenommen hat, eines Tages auch zurückzuzahlen? Kann ein Land dauerhaft über seine Verhältnisse leben? Und haben nicht Staaten, die anderen helfen, auch ein Recht zur Aufsicht und Kontrolle,
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