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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Autoren: Ayse Auth
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dann platzte mir der Kragen. Wollte Vater jetzt bewusst provozieren? Oder war er einfach nur gedankenlos?
    »Und stellt euch vor«, berichtete er im Tone allergrößter Wichtigkeit über eine wahnsinnig erfolgreiche Schwippschwägerin, »nun hat sie doch ein Friseurgeschäft aufgemacht, und es ist auf Anhieb ein Treffer!«
    Jetzt oder nie. Egal, was passiert.
    Ich knallte die Videokassette auf den Tisch und legte los.
    »Du erzählst immer so gern, wie toll diese entfernten Verwandten sind. Hier kannst du mal sehen, was deine eigenen Zwillinge zuwege gebracht haben. Und dass sie in Deutschland mehr Anerkennung finden, als sie je von ihrem eigenen Vater erhalten haben.«
    Es war auf einmal so still im Raum, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören, trotz mehrerer Lagen dicker Teppiche.
Mein Vater blickte mich aus glasigen Augen an. Mutter schaute zu Boden, wie immer, wenn die Luft dicker wurde. Ich fühlte, dass Naime jetzt eingreifen würde. Schon nahm sie mich beiseite, wir gingen in die Küche. Ich war ihr fast dankbar dafür. Von einer Sekunde auf die andere hatte ich am ganzen Körper zu zittern begonnen.
    Während im Wohnzimmer Totenstille herrschte, redete meine ältere Schwester leise auf mich ein. Sobald ich mich wieder gefasst hätte, so bat sie mich inständig, sollte ich wieder zurückgehen und meine Eltern um Verzeihung bitten. Dann würden auch sie sich auf mich zubewegen, ganz sicher.
    Ich meine Eltern um Verzeihung bitten? Ja, nur zu gern, aber nicht jetzt. Eine Bitte um Verzeihung muss von Herzen kommen. Und im Moment spüre ich nichts als Schmerz.
    Nein, dies war noch nicht der Tag, um sich gegenseitig zu verzeihen. Aber auch nicht der Tag, um alles hinzuschmeißen und endgültig den Stab zu brechen. Als ich mich wieder im Griff hatte, ging ich zurück ins Wohnzimmer. Ich verabschiedete mich ordentlich, aber kühl, nahm Cenk an die Hand und ging. Hatice folgte uns.
     
     
    Wie seltsam. Das Verhältnis zu meinen Eltern ist danach nicht etwa noch schlechter geworden, nein, es begann sich zu normalisieren. Ein Prozess der Annäherung setzte ein, der schließlich dazu führte, dass wir uns aussöhnten. Meine Eltern schienen endlich verstanden zu haben: Wenn sie mich nicht endgültig verlieren wollten, mussten sie ein Stück weit auf mich zugehen. Bestimmt hat Naime auch auf sie eingewirkt. Von ihr weiß ich, dass meine Eltern sich
anschließend in ihrem Schlafzimmer wieder und wieder die Fernsehdokumentation angeschaut haben. Sie weinten sehr viel in jener Nacht.
    Nach einer Pause von ein paar Monaten haben wir uns dann wiedergesehen. Plötzlich war das Eis zwischen uns gebrochen, als hätte mein Ausbruch bei meinem Vater die Liebe zu mir wieder lebendig gemacht. Ich fühlte mich wie befreit und erzählte ihm immer mehr aus meinem Leben. Von nun an wurden unsere Familientreffen auch für mich zum freudigen Ereignis. Nach alter Sitte veranstalteten wir sogar spontane Tanzrituale nach dem Essen! Wie früher drehte Vater die Lautstärke hoch, und wir mussten, miteinander lachend und tanzend, türkische Volksmusik über uns ergehen lassen …
    Der Höhepunkt seiner neu entdeckten Zuneigung zu mir war erreicht, als er mir anbot, mir eine seiner Nieren zu spenden, falls der Krebs wiederkäme. Ich war tief gerührt. Ob es - im Falle eines Falles - tatsächlich medizinisch Sinn gemacht hätte, darauf kam es mir überhaupt nicht an. Es war die Bereitschaft, die zählte.
    Wir hatten von nun an wieder regelmäßig Kontakt. Und wir sprachen uns über die alten Probleme aus. Natürlich konnte ich nicht erwarten, dass er sein Verhalten offiziell bereute oder sich gar bei mir entschuldigte. Aber es fühlte sich einfach gut an, dass wir wieder miteinander sprachen. Und ich spürte, dass hinter den kleinen Selbstrechtfertigungen, an denen er sich immer noch versuchte, auch so etwas wie Bedauern steckte.
    »Weißt du, meine Tochter, ich musste doch immer stark sein. Türkische Männer werden dazu erzogen, dominant zu
sein, sie machen die Gesetze in der Familie und erwarten Gehorsam.«
    Ich war endlich soweit, ihn dafür nicht mehr anklagen zu müssen. Immer, wenn er so redete, wollte er doch im Grunde etwas ganz anderes sagen, traute sich aber nicht. Deshalb sprach ich es jetzt für ihn aus:
    »Und aus Angst, dass es dir als Schwäche ausgelegt würde, hast du deine Gefühle nicht gezeigt, nicht wahr? Nicht deiner Frau gegenüber, und auch nicht vor deinen Kindern.«
    In seinen Augen standen Tränen.
    »Ayşe, du
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