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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Autoren: Ayse Auth
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beginnen, sich im Raum zu bewegen und miteinander zu interagieren. Der Therapeut greift immer nur dann ein, wenn die Dynamik erlahmt oder wenn es zu emotionalen Grenzüberschreitungen zu kommen droht. Was durchaus der Fall sein kann, denn dieses Drama kann sehr tief an die Emotionen rühren.
    Obwohl mir das Prozedere etwas fremd war, habe ich die drei Tage durchgehalten. Eigentlich wollte ich sogar gern selbst drankommen, traute mich dann aber doch nicht. Bis der Leiter mich kurz vor Schluss fragte, ob nicht auch ich meine Aufstellung machen wollte. Er fragte ganz sachlich, überhaupt nicht aufdringlich. Das machte mir Mut, und so wagte ich es.
    Zuerst wähle ich den Stellvertreter für meinen Vater. Einen kühlen, starken Mann, der an diesem Wochenende aber schon des Öfteren seine innere Beteiligung unter Beweis gestellt hatte. Ihn postiere ich in der Mitte des Raumes.

    Dann die Oma. Eine ältere, selbstbewusste und starke Frau. Südländischer Typ. Ich stelle sie direkt dem Vater gegenüber. Sie schauen sich an.
    Als Mutter wähle ich eine stille, kleine Frau. Stelle sie dicht neben Vater.
    Jetzt meine Schwester. Eine schöne junge Frau. Wir beide stellen uns zusammen recht weit von den anderen drei entfernt auf.
    Ich verzichte darauf, andere Geschwister, meinen Sohn oder einen Mann mit hereinzunehmen. Hier und jetzt will ich wissen, wie mich die drei wichtigsten Menschen meiner Kindheit geformt haben.
    Alle stehen zunächst nur da, schweigend. Plötzlich zieht mich meine »Schwester« noch weiter von der »Familie« weg. Sie schaut die anderen böse an, als wolle sie mich beschützen.
    »Oma« steht zunächst auch nur da, ihr Blick ist kühl.
    Jetzt versteckt sich »Mutter« hinter der »Oma«. »Vater« bleibt stehen, schaut weiter die »Oma« an.
    Langsam kommt ein Gespräch in Gang. Jeder spricht so, wie er glaubt, dass die von ihm repräsentierte Person sprechen würde.
    Wer es nicht schon einmal selbst erlebt hat, kann sich wohl nicht vorstellen, wie emotional berührend dieses Stellvertreter-Drama für alle Beteiligten sein kann. Die Schuldgefühle meiner »Mutter« sind so offensichtlich, dass ich wirklich tiefes Mitleid mit ihr verspüre und meine Gefühle gegenüber meiner realen Mutter in diesem Moment ganz weich und warm werden. Mein »Vater« vergießt sogar Tränen - und ich mit ihm.

    Jeder Stellvertreter spricht einige Sätze, die mir unvergesslich bleiben werden.
    Die »Oma«:
    »Ich kann nichts dafür, dass es so gelaufen ist. Du hast ja auch alles mit dir machen lassen.«
    Die »Mutter«:
    »Ich entschuldige mich, dass ich euch abgegeben habe. Auch ich habe sehr darunter gelitten.«
    Der »Vater«:
    »Ich wollte doch mein Vaterland gar nicht verlassen. Ich habe meine Kinder in der Türkei abgegeben, damit ein Teil von mir dort sein konnte.«
    Der Leiter scheint Ähnliches zu fühlen wie ich: Der Knackpunkt liegt zwischen meiner Oma und mir. Wir wollen nicht so recht »aneinander heran«. Wohl deshalb greift er jetzt ein und fordert mich auf, die »Oma« zu bitten, dass sie mir mein Leben zurückgibt .
    Das fällt mir unbeschreiblich schwer. Ich muss mich sehr zusammennehmen. Aber als es schließlich heraus ist, fühle ich eine Zentnerlast von meinem Herzen weichen.
    Ich habe Babanne zeitweise richtig gehasst, aber sie war auch mein Vorbild. So lebenstüchtig, so zielstrebig. Auch das Spirituelle habe ich wohl von ihr. Sie steht mir nicht nahe, nein mehr als das: Sie lebt in mir.

Der Kreis schließt sich
    München, im Sommer 2006
     
     
     
     
    H ab ich dir doch gesagt, dass du dich überforderst!« Das ist Salz in meinen Wunden, aber Hatice hat ja auch recht. Gerade habe ich ihr am Telefon wieder einmal mein Leid geklagt. Mein erstes Jahr in München ist die reinste Katastrophe. Der Laden findet wenig Zuspruch, ich fühle mich einsam. Diese Stadt ist eine harte Nuss!
    Gehen mir etwa die Argumente aus? In diesem Gespräch habe ich anscheinend nur noch Floskeln zu bieten:
    »Wo kommen wir denn hin, wenn wir immer nur auf Sicherheit bedacht sind?«
    Auweia, das war oberflächlich, ja destruktiv. Das hat meine Schwester nicht verdient, die ja alles mitgetragen hat. Und die genauso im Risiko steht wie ich. Auf die passende Entgegnung brauche ich nicht zu warten.
    »Du weißt ganz genau, wenn du es in München nicht schaffst, können wir gleich beide Läden zumachen! München und Frankfurt. Und dann?«
    Wo sie recht hat, hat sie recht. Es ist doch sonnenklar: Ich werde es nie und nimmer schaffen,
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