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Frauen lügen

Frauen lügen

Titel: Frauen lügen
Autoren: Eva Ehley
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atmet tief durch. Sein Morgenritual. Er kommt fast bei jedem Wetter her. Von April bis Oktober. Hier tankt er die Kraft, die ihm am Abend hilft, den Gedanken an den Alkohol zu widerstehen. Hier und auf seinen endlosen Fahrradtouren quer über die Insel. Und im Fitnessstudio. Und am Laptop.
    Schnell zieht Fred sich aus. Sweater, Jeans, T-Shirt, Boxershorts fallen auf den feuchten Sand neben das Handtuch. Zum Wasser sind es nur wenige Meter. Die Nordsee ist eisig kalt, aber die Wellen werden ihn wärmen. Man darf nur nicht zögern beim Hineingehen. Und nicht nachdenken, das ist ja gerade der Sinn der Übung. Die Gedanken bleiben am Strand zurück, der Körper geht schwimmen, lässt sich vom Meer tragen, schaukeln oder schütteln, je nach Heftigkeit der Brandung.
    Heute ist eher schütteln angesagt. Die Wellen brechen sich an unvorhersehbaren Orten und der Sog ist stark. Freds Widerstand gegen die Kräfte der Natur braucht den ganzen Mann, alle Konzentration und Schwimmkunst, die er aufbieten kann. Keine Chance für Gedanken, Erinnerungen, Überlegungen. Fred ist ganz allein bei seinem allmorgendlichen Kampf gegen das Element, und er genießt das Gefühl, sich jeden Tag von neuem beweisen zu können, dass er diesem Kampf gewachsen ist.
    Als nach wenigen Minuten die Sonne durch ein Loch in den Wolken bricht und den Strand mit ihrem frühen Gold zum Leuchten bringt, durchströmt Fred Hübner ein plötzliches Glücksgefühl. Er ist nackt, er ist stark, und er befindet sich am schönsten Ort der Welt. Mit einem lauten Schrei stürzt er sich dem nächsten Brecher entgegen, taucht unter ihm durch, verliert für Sekundenbruchteile die Orientierung, bekommt aber schnell wieder Boden unter die Füße und richtet sich auf. Die Welle läuft gerade am Strand aus, und bis zur nächsten sind es noch wenige Sekunden. Zeit genug für einen Blick zurück auf Sand und Klippen im Sonnenlicht. Außer der Gestalt in der grünen Barbourjacke, die sich beharrlich von Norden her nähert, ist Fred immer noch der einzige Mensch am Strand. Längst ist ihm das Zeitgefühl abhandengekommen, nie kann er sagen, wie lange seine Aufenthalte in den kalten Fluten wirklich dauern, und es ist auch nicht wichtig. Man muss nur darauf achten, die eigenen Kräfte nicht zu überschätzen. Spätestens wenn es einem unerwartet die Beine wegreißt und man zu einem längeren Tauchgang als geplant gezwungen wird, ist es Zeit, die See zu verlassen. Diesmal ist es das Salzwasser, das Fred in Nase und Rachen bekommt, das ihn zum Husten bringt und ihm zeigt, dass es genug ist für heute. Geblendet vom Licht kämpft er sich zurück zum Strand. Auch in die Augen ist Wasser gekommen, er reibt sich die brennenden Lider.
    Als Fred Hübner wieder auf dem Trockenen ist, kann er für Sekunden seine Kleidung nicht finden, die Strömung hat ihn stärker abgetrieben als sonst, er ist fast schon an der nächsten Buhnenkante angekommen. Fred dreht sich um und blinzelt ins Licht. Natürlich, da liegt ja der flache Stapel am Strand. Schnell läuft er hinüber, denn von der anderen Seite nähert sich jetzt der Spaziergänger. Es ist eine Frau, schmal und mit streng zurückgenommenen hellblonden Haaren, die wie eine goldene Kappe im Morgenlicht glänzen. Sie läuft direkt auf seinen Kleiderhaufen zu. Noch sind es fünfzig Meter, bald zwanzig, dann fünf. Fred blickt der Frau ins Gesicht.
    Nein, es ist kein Zweifel möglich. Die Spaziergängerin ist niemand anderes als Susanne. Sie bleibt direkt vor ihm stehen, mustert den nackten, tropfnassen Fred langsam von oben bis unten und sagt mit ihrer melodiösen Stimme, die er einmal geliebt hat:
    »Guten Morgen, Fred. Du hast dich erstaunlich wenig verändert.«

Dienstag, 16 . August, 9.10  Uhr,
Kampen,
Sturmhaube
    Mit schnellen Schritten läuft Susanne Michelsen durch die Strandstraße. Sie führt vom Kampener Zentrum Richtung Meer und ist gesäumt von teuren Hotels und Apartmenthäusern auf der linken Seite. Rechts kann der Blick weit über die Heide gleiten, denn hier beginnt bereits eines der vielen Naturschutzgebiete der Insel. Ein asphaltierter Fußweg führt parallel zur ersten Dünenkette hindurch und endet unterhalb der
Sturmhaube
, einem noblen Restaurant, das wegen seiner unvergleichlichen Lage überaus beliebt ist. Nach einem heißen Strandtag kommen die Badegäste gern und häufig auf einen Aperitif an die Außenbar, um erst danach in ihre Jeeps oder Limousinen zu steigen, die auf einem der beiden großen Strandparkplätze
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