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Frau Prinz pfeift nicht mehr

Titel: Frau Prinz pfeift nicht mehr
Autoren: A Scheib
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zu Theateraufführungen,
     in Konzertsäle, zahlte hohe |27| Eintrittspreise – und Kirchen, obwohl sie kostenlos Musik und Predigt boten, interessierten ihn höchstens als Denkmäler.
    Kemper beeilte sich, in die Kanzlei zu kommen, prallte fast mit einer alten Frau zusammen, die ein Baby im Kinderwagen fuhr
     und in dem Korbunter dem Wagen Tüten aus dem Supermarkt verstaut hatte. Kemper hätte auch dringend einkaufen müssen, sein
     Kühlschrank war leer, er würde in der Gabelsbergerstraße essen, in dem japanischen Restaurant, das er seit einiger Zeit bevorzugte.
     Kemper rannte drei Treppen hoch, er haßte Lifts, außerdem brauchte er Bewegung, daher stand er ziemlich außer Atem vor der
     Tür der Kanzlei, die auf sein Klingeln mit einem Summton nachgab. Kemper fand sich in einer leeren Rezeption, doch dann kam
     eine dunkelhaarige, ziemlich korpulente Frau. Sie mochte in Kempers Alter sein. Sie sah Kemper unfreundlich an.
    »Die Kanzlei macht Betriebsausflug, Sie müssen ein andermal kommen. Haben Sie überhaupt einen Termin?«
    Kemper holte seinen Ausweis heraus, |28| steckte ihn, nachdem die Frau kaum einen Blick darauf geworfen hatte, wieder ein.
    »Frau Prinz-Papke? Kemper, Kriminalpolizei. Frau Brunhilde Prinz, nach meiner Information Ihre Stiefmutter, ist in ihrem Vorgarten,
     äh, verunglückt. Sie ist tot.« Ingrid Prinz-Papke wandte Kemper ihr flächiges, seltsam leer und muffig wirkendes Gesicht zu.
     Es zeigte keine Überraschung, kein Entsetzen, nichts.
    »Wo ist sie jetzt?« fragte sie knapp, und Kemper antwortete, daß sie im Gerichtsmedizinischen Institut sei.
    »Es sind noch Fragen offen.«
    »Aha«, sagte Ingrid Prinz-Papke.
    »Sie sind nicht überrascht?«
    »Ich wurde angerufen. Anonym. Zweimal.«
    »Und? Warum sind Sie dann nicht sofort nach Hause gefahren?«
    »Zu Hause kann ich nichts tun. Ich möchte außerdem erst heimgehen, wenn es dunkel ist. Ich habe keine Lust, Leuten wie der
     Schierl oder der Tinius zu begegnen. Ich bin sicher, daß beide mich angerufen haben. Außerdem muß ich hier einiges aufarbeiten |29| . Meine Kollegin ist an Krebs erkrankt. Ich will ihr die Stelle offenhalten, deshalb muß ich im Moment für zwei arbeiten.«
    Kemper dachte, daß das alles zwar plausibel klang, gar nicht mal unsympathisch, vor allem das mit der erkrankten Kollegin
     war ja sehr fair, aber die Kälte in der Stimme dieser Frau Papke, ihr freudloses Gesicht irritierten ihn trotzdem.
    Sie bat ihn in ihr Büro, ging vor Kemper her, und er dachte, daß sie eigentlich den Gang einer schönen Frau hatte, seltsam,
     sie ging, als wäre sie schön, obwohl sie plump und farblos war.
    »Es ehrt Sie natürlich«, sagte Kemper, »daß Sie für Ihre kranke Kollegin mit arbeiten, trotzdem müssen Sie sich jetzt Zeit
     für mich nehmen. Es geht schließlich darum, wie Ihre Stiefmutter umgekommen ist. Ich habe Gründe, mich mit Ihrer Familie intensiv
     zu beschäftigen. Und ich glaube, das wissen Sie auch. Also fangen wir in Ihrer Kindheit an.«
    Ingrid Prinz-Papke schaute Kemper aufmerksam an, dann wurde ihr Blick abwesend |30| , wie nach innen gerichtet. Kemper sah, wie unter den Achselhöhlen ihrer blauseidenen Bluse feuchte Flecken den Stoff dunkel
     färbten. Fast schwarz.

3
    Als sie schon über zwanzig war, glaubte Ingrid Prinz immer noch, daß ihr Bruder Nepomuk der einzige Mensch sei, der sie liebhatte
     und dessen Liebe sie erwiderte. Beim Tod ihrer leiblichen Mutter war sie acht Jahre alt gewesen, alt genug zur Verzweiflung,
     doch ihre Trauer war mit Wut gemischt, mit Enttäuschung darüber, daß die Mutter weggegangen war in eine Klinik, daß sie ihr
     versprochen hatte, bald zurück zu sein, und dann war sie niemals wieder heimgekommen. Lange hatte Ingrid gewartet, langsam
     bröckelte das Vertrauen in die Mutter, auch die anderen sagten ihr, daß sie nicht mehr komme, und mit der Zeit verlor Ingrid
     auch den letzten Rest von Glauben. |31| Sie nahm den Tod der Mutter hin, blieb stumm, wenn man mit ihr reden, ihr etwas erklären wollte, und als die Stiefmutter ins
     Haus kam, akzeptierte sie ohne Gefühle diese neue Frau des Vaters, die zu Ingrids Erleichterung mit ihrer Mutter keine Ähnlichkeit
     hatte, die für Ingrid stets nur die zweite Frau ihres Vaters bleiben würde.
     
    Mit ihrem Halbbruder Nepomuk, von allen Muck genannt, war Ingrids Leben eine Zeitlang komplett gewesen. Ihre Hingabe an das
     Baby, das ihr nach den ersten Wochen übertriebener mütterlicher Fürsorge immer öfter
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