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Fratze - Roman

Titel: Fratze - Roman
Autoren: PeP eBooks
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hatte keine Motivation.
    In dieser Hinsicht, Shane, waren wir wirklich Bruder und Schwester. Um mich zu retten, musste ich den größten Fehler machen, den ich mir denken konnte. Ich wollte die Vorstellung loswerden, dass ich irgendetwas im Griff hätte. Ich wollte alles durcheinanderbringen. Mein Heil im Chaos suchen. Um herauszufinden, ob ich mit dem Leben zurechtkommen konnte, wollte ich mich zwingen, mich wieder zu entwickeln. Ich wollte mich aus der gemütlichen Kuschelecke katapultieren.
    Kurz vor der Ausfahrt fuhr ich auf den Seitenstreifen, die sogenannte Kriechspur, und hielt. Ich erinnere mich, wie ich dachte, wie gut das passt. Ich erinnere mich, wie ich dachte, das wird ziemlich aufregend. Meine Neugestaltung. Hier würde mein Leben noch einmal ganz von vorn anfangen. Diesmal könnte ich eine bedeutende Hirnchirurgin werden. Oder Künstlerin. Niemand würde etwas darauf geben, wie ich aussah. Die Leute würden nur meine Kunst sehen, das, was ich gemacht habe, und nicht bloß, wie ich aussehe, und die Leute würden mich lieben.

    Als Letztes dachte ich, endlich werde ich mich wieder entwickeln können, mich verändern, anpassen, größer werden. Ich werde körperlich behindert sein.
    Ich konnte es nicht erwarten. Ich nahm die Pistole aus dem Handschuhfach. Ich zog einen Handschuh gegen Schmauchspuren an und hielt die Waffe auf Armes länge aus dem zerbrochenen Fenster. Von Zielen konnte keine Rede sein, bei einer Distanz von einem halben Meter. Ich hätte mich auch töten können, aber das hätte ich jetzt auch nicht mehr als sehr tragisch empfunden.
    Im Vergleich zu dieser Neugestaltung würden Piercings, Tattoos und Brandings ganz schön läppisch aussehen, alle diese kleinen Moderevolutionen, die so ungefährlich sind, dass sie selbst nur wieder Mode werden. Diese lächerlichen Papiertiger von Versuchen, die sich gegen die Schönheit wenden und sie am Ende nur noch steigern.
    Der Schuss, das war wie ein harter Faustschlag, erinnere ich mich. Die Kugel. Es dauerte eine Minute, bis ich meine Augen wieder scharfgestellt hatte, und dann sah ich Blut und Rotz, Sabber und Zähne auf dem Beifahrersitz, alles von mir. Ich musste die Autotür aufmachen und die Pistole aufheben, die ich hatte fallen lassen. Dass ich im Schockzustand war, half natürlich. Pistole und Handschuh habe ich in einem Gulli auf dem Krankenhausparkplatz verschwinden lassen, falls ihr einen Beweis braucht.
    Dann Morphium, intravenös, winzige OP-Scheren, mit denen ich aus meinem Kleid geschnitten wurde, aus meinem Höschen. Polizeifotos. Vögel haben mein Gesicht gefressen. Niemand hat jemals die Wahrheit geahnt.
    Die Wahrheit ist: Ich bin danach ein bisschen in Panik geraten. Ich habe alle das Falsche denken lassen. Die Zukunft ist kein guter Ort, wieder mit Lügen und Betrügen
anzufangen. An alledem bin nur ich schuld, sonst keiner. Ich bin weggelaufen, weil die Versuchung zu groß war, meinen Kiefer einfach wiederherstellen zu lassen und auf diese Weise rückfällig zu werden, das alte Spiel mit dem guten Aussehen wieder von vorn anzufangen. Jetzt liegt meine neue Zukunft immer noch vor mir.
    Die Wahrheit ist: Hässlich sein ist nicht so aufregend, wie man meinen könnte, aber es kann eine Möglichkeit sein zu etwas, das noch besser ist, als ich mir je vorgestellt hatte.
    Die Wahrheit ist: Es tut mir leid.

32
    S pringt zurück in die Notaufnahme des La Paloma Memorial Hospital. Morphium, intravenös.Winzige OP-Scheren, die Brandys Kostüm aufschneiden. Der unglückliche Penis meines Bruders, blau und kalt vor aller Augen. Die Polizeifotos, und Schwester Katherine schreit: »Macht eure Fotos! Macht jetzt eure Fotos! Er verliert immer noch Blut!«
    Springt zu der Operation. Springt zu der Zeit danach. Springt zu mir, wie ich Schwester Katherine beiseitenehme, wie die kleine Schwester Katherine ihre Arme so heftig um meine Knie schlingt, dass ich beinahe zu Boden stürze. Sie sieht mich an, wir beide mit Blut besudelt, und ich sage schriftlich zu ihr:
    bitte.
    tun sie diese eine sache für mich. bitte. wenn sie mich wirklich glücklich machen wollen.
     
    Springt zu Evie im Kaufhaus Brumbach, wo sie in Talkshow-Manier unter heißen Studiolampen mit ihrer Mutter und Manus und ihrem neuen Mann darüber plaudert, wie sie Brandy viele Jahre vor uns allen in irgendeiner Transgendergruppe kennengelernt hat. Und dass jeder ab und zu einmal eine große Katastrophe braucht.
    Springt zu einem Tag in naher Zukunft, wenn Manus seine Brüste bekommen
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