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Fratze - Roman

Titel: Fratze - Roman
Autoren: PeP eBooks
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danach, ins Freie gelassen zu werden.
    Die Sprachtherapeutin sagt: »Lassen Sie beim Sprechen die Glottis ein wenig offen. Auf diese Art hat Marilyn Monroe Happy Birthday für Präsident Kennedy gesungen. Der Atem streicht dann an Ihren Stimmbändern vorbei, wodurch die Tonfärbung etwas weiblich Hilfloses bekommt.«
    Die Schwester führt mich in meinen Papplatschen, meinen strammen Verbänden und meinem schweren emotionalen Tief an dem Zimmer vorbei, und Brandy Alexander blickt im allerletzten Moment auf und zwinkert. Gott sollte so zwinkern können. Wie jemand, der dich fotografiert. Gib mir Freude. Gib mir Spaß. Gib mir Liebe.
    Blitz.
    Die Engel im Himmel sollten so Küsschen werfen können, wie Brandy Alexander es tut und mir den Rest der Woche aufhellt. In mein Zimmer zurückgekehrt, schreibe ich:
    wer ist sie?
    »Niemand, mit dem Sie irgendetwas zu tun haben sollten«, sagt die Schwester. »Sie haben schon genug Probleme.«
    aber wer ist sie?, schreibe ich.
    »Ob Sie’s glauben oder nicht«, sagt die Schwester, »aber diese Person ist jede Woche jemand anders.«
    Es ist nach diesem Vorfall, dass Schwester Katherine mit ihren Kuppelversuchen anfängt. Um mich vor Brandy Alexander zu bewahren, bietet sie mir den Anwalt ohne Nase an. Sie präsentiert mir einen bergsteigenden Zahnarzt, dessen durch Erfrierungen zerfressene Finger und
Gesichtszüge nur noch aus kleinen harten, glänzenden Beulen bestehen. Einen Missionar mit den dunklen Flecken irgendeines tropischen Pilzes unter der Hautoberfläche. Einen Mechaniker, der sich gerade über eine Batterie gebeugt hatte, als sie explodierte, und jetzt sind Lippen und Wangen von der Säure weggeätzt und die gelben Zähne permanent gefletscht.
    Ich blicke auf den Ehering der Nonne und schreibe:
    anscheinend haben sie den letzten richtigen kerl abgekriegt.
    In der Zeit, wo ich im Krankenhaus war, konnte ich mich unmöglich verlieben. Ich war einfach noch nicht so weit. Sich mit weniger begnügen. Ich wollte nicht irgendwelche Sachen verarbeiten. Ich wollte keine Scherben aufsammeln. Meine Erwartungen niedriger schrauben. Mit meinem Schrumpfleben weitermachen. Ich wollte nicht froh sein, dass ich noch am Leben war. Nach irgendeinem Ausgleich suchen. Ich wollte einfach nur, dass mein Gesicht wieder heil würde, falls das möglich war, und das war es nicht.
    Als die Zeit gekommen ist, mich wieder, so ihre Worte, an feste Nahrung heranzuführen, gibt es püriertes Huhn und passierte Karotten. Babybrei. Alles zerstampft, zermahlen, zerrührt.
    Man ist, was man isst.
    Die Krankenschwester bringt mir die privaten Kleinanzeigen aus einer Info-Broschüre. Schwester Katherine späht durch die Brille an ihrer Nase entlang und liest vor: Männer suchen schlanke, abenteuerlustige Mädchen für Spaß und Romantik. Und ja, so ist es, keiner von diesen Männern schließt grässlich entstellte Mädchen mit wachsenden Arztrechnungen ausdrücklich aus.

    Schwester Katherine sagt zu mir: »Diese Männer, denen Sie ins Gefängnis schreiben können, brauchen nicht zu wissen, wie Sie wirklich aussehen.«
    Es ist mir zu umständlich, ihr meine Gefühle schriftlich zu erklären.
    Schwester Katherine liest mir die Kontaktanzeigen vor, während ich mein Roastbeef löffle. Sie hat Brandstifter zu bieten. Einbrecher. Steuerbetrüger. Sie sagt: »Mit einem Vergewaltiger sollten Sie vielleicht nicht ausgehen, jedenfalls nicht sofort. So verzweifelt ist niemand.«
    Zwischen den einsamen Männern, die wegen bewaffneten Raubüberfalls oder Totschlags hinter Gittern sitzen, hält sie inne und fragt, was los ist. Sie nimmt meine Hand und spricht zu dem Namensschild auf meinem Plastikarmband, so weit bin ich schon als Handmodel, Cocktailringe, Plastiknamensschilder, so wunderschön, dass sogar eine Braut Christi die Augen nicht davon losreißen kann. Sie sagt: »Was empfinden Sie?«
    Das ist ja wohl zum Schreien.
    Sie sagt: »Möchten Sie sich nicht verlieben?«
    Der Fotograf in meinem Kopf sagt: Gib mir Geduld.
    Blitz.
    Gib mir Kontrolle.
    Blitz.
    Die Sache ist die, dass ich nur noch ein halbes Gesicht habe.
    Unter den Binden blutet mein Gesicht immer noch kleine Flecken in die Baumwollpolster. Der Arzt, der jeden Morgen die Runde macht und meinen Verband kontrolliert, er sagt, meine Wunde weint immer noch. Das sind seine Worte.
    Ich kann noch immer nicht sprechen.

    Ich habe keinen Beruf.
    Ich kann nur Babynahrung essen. Niemand wird mich je wieder so ansehen, als hätte ich einen großen Preis
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