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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan
Autoren: Freihheit
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sagte sie. «Sie hat mir etwas
erzählt, das dich vielleicht interessieren wird. Möchtest du es hören?»
    «Nein»,
sagte er streng.
    «Und darf
ich dich fragen, warum nicht?»
    Von
draußen, wo jetzt blaues Zwielicht herrschte, drang durch die offene Küchentür
die Stimme eines fernen, Bobby! rufenden
Kindes zu ihm herein.
    «Jessica»,
sagte Walter. «Ich weiß, dass ihr euch nahesteht, und das ist gut so. Es täte
mir leid, wenn es anders wäre. Ich möchte ja, dass du zwei Elternteile hast.
Aber wenn ich daran interessiert wäre, von ihr zu hören, könnte ich sie selbst
anrufen. Ich möchte nicht, dass du Nachrichten zwischen uns hin- und
herträgst.»
    «Das macht
mir gar nichts aus.»
    «Mir aber. Ich
bin an keinerlei Nachricht interessiert.»
    «Ich
glaube nicht, dass es eine schlechte Nachricht ist, die sie dir übermitteln
möchte.»
    «Ist mir
egal, was für eine Nachricht es ist.»
    «Darf ich
dich dann mal fragen, warum du dich nicht einfach von ihr scheiden lässt? Wenn
du nichts mit ihr zu tun haben willst? Solange du dich nicht scheiden lässt,
machst du ihr nämlich in gewisser Weise Hoffnung.»
    Eine
zweite Kinderstimme war zu der ersten hinzugekommen, gemeinsam riefen sie
jetzt: Bohhhhby! Bohhhhby! Walter schloss die Tür und sagte
zu Jessica: «Ich möchte nichts davon hören.»
    «Na schön, Dad, aber könntest du wenigstens meine
Frage beantworten? Warum du dich nicht scheiden lässt?»
    «Weil ich
darüber im Moment einfach nicht nachdenken möchte.»
    «Es sind
sechs Jahre vergangen! Ist es nicht an der Zeit, dass du mal anfängst, darüber
nachzudenken? Und sei es aus simpler Fairness?»
    «Wenn sie
die Scheidung will, kann sie mir einen Brief schreiben. Sie kann ihren Anwalt
bitten, mir einen Brief zu schreiben.»
    «Aber ich
will wissen, warum du nicht die
Scheidung willst.»
    «Ich will
einfach nicht mit den Dingen konfrontiert werden, die dadurch aufgewirbelt
würden. Ich habe ein Recht darauf, etwas nicht zu tun, was ich nicht tun will.»
    «Was würde
denn dadurch aufgewirbelt?»
    «Schmerz.
Ich habe genug gelitten. Ich leide immer noch.»
    «Das weiß
ich, Dad. Aber Lalitha ist tot. Sie ist seit
sechs Jahren tot.»
    Walter
schüttelte heftig den Kopf, als hätte ihm jemand Säure ins Gesicht geschüttet.
«Ich möchte nicht darüber nachdenken. Ich möchte einfach nur jeden Morgen nach
draußen gehen und Vögel beobachten, die mit alldem nichts zu tun haben. Vögel,
die ihr eigenes Leben führen, mit ihren eigenen Sorgen. Und ich möchte
versuchen, etwas für sie zu tun. Sie sind das Einzige, was mir noch liebenswert
erscheint. Abgesehen von dir und Joey, meine ich. Und das ist alles, was ich
dazu sagen möchte. Bitte, stell mir keine weiteren Fragen mehr.»
    «Hm, hast
du mal überlegt, zu einem Therapeuten zu gehen? Damit du anfangen kannst, nach
vorn zu schauen? Ich meine, so alt bist du doch noch nicht.»
    «Ich
möchte mich nicht ändern», sagte er. «Jeden Morgen habe ich ein paar schlimme
Minuten, und dann lege ich los und arbeite bis zum Umfallen, und wenn ich am
Abend lange genug aufbleibe, gelingt es mir auch einzuschlafen. Man geht nur
zum Therapeuten, wenn man etwas ändern will. Ich hätte einem Therapeuten nichts
zu sagen.»
    «Du hast
Mom doch mal geliebt, oder?»
    «Keine
Ahnung. Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, was passiert ist, nachdem
sie mich verlassen hat.»
    «Sie ist
jedenfalls auch ziemlich liebenswert. Sie hat sich gegenüber früher sehr
verändert. Es mag unglaublich klingen, aber sie ist so etwas wie die perfekte
Mutter geworden.»
    «Wie
gesagt, das freut mich für dich. Ich bin froh, dass sie ein Teil deines Lebens
ist.»
    «Aber ein
Teil deines Lebens soll sie nicht sein.»
    «Jessica,
ich weiß, dass es das ist, was du willst. Ich weiß, dass du dir ein Happy End wünschst. Aber ich kann doch meine Gefühle nicht ändern, nur weil
du es so willst.»
    «Und was
sind deine Gefühle? Hasst du sie?»
    «Sie hat
sich entschieden. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.»
    «Tut mir
leid, Dad, aber das ist einfach grotesk
unfair. Du bist derjenige, der sich entschieden hat. Sie wollte dich nicht
verlassen.»
    «Ja, so
erzählt sie es dir natürlich. Du siehst sie jede Woche, natürlich hat sie dir
ihre Version der Dinge verkauft, die bestimmt voller Nachsicht ihr selbst gegenüber
ist. Aber du hast in den letzten fünf Jahren, bevor sie ging, nicht mit ihr
zusammengelebt. Es war ein Albtraum, und dann habe ich mich neu verliebt. Ich
hatte
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