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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan
Autoren: Freihheit
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südlichen
Seeufer frisch und fröhlich drauflosspazieren und Walters Grundstück betreten,
um zu töten. Ammern, Drosseln, Gelbkehlchen, Hüttensänger, Goldzeisige,
Zaunkönige. Bobbys Geschmack
war allumfassend, seine Aufmerksamkeitsspanne grenzenlos. Er wurde des Tötens
nie überdrüssig, und dazu kam der Charakterfehler der Illoyalität oder Undankbarkeit,
jedenfalls machte er sich selten die Mühe, die Beute zum Haus der Hoffbauers
zu bringen. Er fing und spielte und schlachtete und gönnte sich dann
gelegentlich einen kleinen Snack, doch meistens ließ er den Kadaver einfach
liegen. Die lichten grasreichen Wäldchen unterhalb von Walters Haus und das
sie umgebende Saumbiotop waren für Vögel genau wie für Bobby besonders attraktiv. Walter hatte immer ein Häufchen Steine parat, mit
denen er nach Bobby werfen
konnte, und einmal hatte er mit der Druckdüse seines Gartenschlauchs einen
Wasservolltreffer gelandet, aber Bobby lernte
bald, am frühen Morgen im Wäldchen zu bleiben und abzuwarten, bis Walter zur
Arbeit gefahren war. Manche Naturschutzgebiete, die Walter verwaltete, lagen
so weit entfernt, dass er oft mehrere Nächte fortblieb, und fast jedes Mal fand
er bei seiner Rückkehr auf dem Abhang hinter seinem Haus die Spuren eines neuen
Massakers vor. Wenn das nur an diesem einen Ort geschehen wäre, hätte er es
vielleicht noch ertragen, aber zu wissen, dass es überall geschah, machte ihn
verrückt.
    Und doch
war er zu weichherzig und zu gesetzestreu, um jemandes Haustier zu töten. Er
erwog, diesen Job seinem Bruder Mitch zu übertragen, aber dagegen sprach Mitchs
bereits existierendes Strafregister, und außerdem war sich Walter darüber im
Klaren, dass Linda Hoffbauer vermutlich einfach eine andere Katze anschaffen
würde. Erst nachdem ein zweiter Sommer der Diplomatie und pädagogischen
Bemühungen ergebnislos geblieben war und Linda Hoffbauers Ehemann seine
Einfahrt einmal zu oft mit Schnee blockiert hatte, beschloss er, dass Bobby, auch wenn er nur eine von fünfundsiebzig Millionen Katzen in Amerika
war, nun persönlich für seine Soziopathie haften musste. Walter besorgte sich
eine Falle und detaillierte Anweisungen von einer der Firmen, die auf den Gebieten
der Nature Conservancy den nahezu
hoffnungslosen Krieg gegen verwilderte Katzen führten, und eines frühen Morgens
im Mai, noch bevor es dämmerte, platzierte er die mit Hühnerleber und Speck
bestückte Falle an dem Pfad, auf dem Bobby sein
Grundstück zu betreten pflegte. Er wusste, dass man bei einer klugen Katze mit
einer Falle nur eine einzige Chance hatte. Süß klangen ihm die Katzenschreie,
die zwei Stunden später den Hügel heraufdrangen, in den Ohren. Er schleppte die
ruckende, nach Scheiße stinkende Falle schnell zu seinem Prius und sperrte sie
in den Kofferraum. Dass Linda Hoffbauer Bobby nie ein
Halsband umgelegt hatte - eine allzu große Einschränkung der kostbaren
Freiheit ihres Katers, wie sich denken ließ -, machte es für Walter, nach
dreistündiger Fahrt, umso leichter, ihn in einem Tierheim in Minneapolis abzugeben, wo man ihn entweder töten oder einer Familie in der Stadt
andrehen würde, die ihn im Haus behielt.
    Auf die
schwere Niedergeschlagenheit, die ihn befiel, als er aus Minneapolis herausfuhr, war er nicht gefasst gewesen. Das Empfinden von Verlust,
Vergeudung und Trauer: das Gefühl, dass er und Bobby auf gewisse Weise miteinander verheiratet gewesen waren und dass man
selbst in einer fürchterlichen Ehe weniger einsam war als in gar keiner.
Unwillkürlich malte er sich den garstigen Käfig aus, in dem Bobby jetzt vorübergehend hauste. Natürlich wusste er, dass Bobby die Hoffbauers nicht persönlich vermissen würde - Katzen benutzten
Menschen nur -, aber sein Eingesperrtsein hatte trotzdem etwas
Erbarmungswürdiges an sich.
    Seit fast
sechs Jahren lebte Walter nun allein und fand Wege, damit zurechtzukommen. Das
für Minnesota zuständige Nature-Conservancy-Büro, das er einmal geleitet hatte
und dessen Schmusekurs mit Konzernen und Millionären ihm heute Unwohlsein
bereitete, hatte seinem Wunsch entsprochen, ihn auf einer niedrigeren Ebene
als Gebietsverwalter und, in den Monaten, wenn alles gefror, als Mitarbeiter
für besonders mühsame und zeitraubende bürokratische Aufgaben wieder
einzustellen. Er tat in den Schutzgebieten, die unter seiner Aufsicht standen,
nichts umwerfend Gutes, aber er richtete auch keinen Schaden an, und die Tage,
die er allein inmitten von Nadelbäumen, Eistauchern, Seggen
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