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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus
Autoren: Mary Shelley
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Krankheiten vom menschlichen Geschlechte fernzuhalten
und jeden unverletzlich zu machen.
    Aber das waren noch nicht meine einzigen Wünsche! Meine
Lieblingsautoren versprachen ihren Schülern die Kunst, Geister und
Dämonen zu zitieren, die ich mir mit brennendem Eifer anzueignen
strebte. Aber wenn auch meine Beschwörungen immer erfolglos
blieben, so schob ich die Schuld lieber auf mich und meine
Unerfahrenheit, als daß ich es gewagt hätte, an der Ehrlichkeit
meiner Lehrer zu zweifeln. Und so widmete ich mich eine Zeit lang
diesen veralteten Systemen, indem ich die widersprechendsten
Theorien in meinem Kopfe durcheinanderwarf und in einem Wuste der
mannigfaltigsten Wissenschaften watete, angetrieben durch meine
glühende Phantasie und meinen kindischen Eigensinn, bis, wieder
durch einen Zufall, meine Ideen eine andere Richtung annahmen.
    Als ich fünfzehn Jahre alt war wurde ich von unserem
Landhause am Belrive aus Zuschauer bei
einem heftigen, schrecklichen Unwetter. Es kam von den Bergriesen
des Jura herangebraust und der Donner brüllte furchtbar aus allen
Himmelsrichtungen. Mit Neugierde und Entzücken verfolgte ich die
verschiedenen Phasen des Gewitters. Ich stand am Tor, als plötzlich
eine helle Feuersäule aus der alten, herrlichen Eiche emporschoß,
die etwa zwanzig Meter vom Hause entfernt stand. Und als dann das
Auge wieder ungeblendet blicken konnte, war die Eiche nicht mehr da
und an ihrer Stelle stand ein kurzer, verbrannter Stumpf. Als wir
am nächsten Morgen uns die Sache in der Nähe besahen, bemerkten
wir, daß der Baum in ganz merkwürdiger Weise zerstört worden war.
Nicht in unregelmäßige Trümmer hatte ihn der Blitz auseinander
gerissen, sondern ihn regelrecht in schmale Holzbänder zerlegt. Ein
Bild der vollendeten Vernichtung.
    Schon vorher waren mir die Gesetze der Elektrizität in ihren
allgemeinen Umrissen bekannt gewesen. Ein Herr, der mit uns
gegangen war, um das Phänomen zu betrachten, entwickelte bei dieser
Gelegenheit eine Theorie über Elektrizität und Magnetismus, die
zugleich neu und fesselnd war. Alles, was er sagte, stellte
Kornelius Agrippa, Albertus Magnus und Paracelsus, die Helden
meines Geistes, sehr in den Schatten. Und diese Niederlage meiner
Helden nahm mir alle Lust an den gewohnten Studien. Es schien mir,
als würde und könnte man nie etwas wissen. Das, was so lange meinen
Geist in Bann gehalten hatte, kam mir auf einmal lächerlich vor. In
einer der Launen, denen wir gerade in der Jugend besonders
unterworfen sind, warf ich die ganze Naturphilosophie und das, was
damit zusammenhing, als unfruchtbar und widersinnig auf die Seite.
Ich empfand heftigen Ekel vor dieser Scheinwissenschaft, die nicht
einmal imstande war, uns auch nur bis zur Schwelle wahren Wissens
zu bringen. In diesem Zustande verlegte ich mich auf die
Mathematik, die, auf festen Füßen stehend, allein meiner Beachtung
würdig schien.
    Wie seltsam ist doch unsere Seele konstruiert und an wie dünnen
Fäden hängt Glück oder Verderben. Wenn ich zurückdenke und mir Rechenschaft gebe über die merkwürdige
Änderung meiner Neigung, kommt es mir vor, als habe damals mein
Schutzengel noch einen letzten Versuch gemacht, mich dem drohenden
Unheil zu entziehen, das sich über mir zusammenballte. Jedenfalls
hatte sein Bemühen Erfolg, denn eine ungewohnte Ruhe der Seele und
eine tiefe Befriedigung kam über mich, als ich von den in letzter
Zeit mich quälenden Studien abließ; ja, ich lernte sie sogar als
etwas Böses verachten.
    Mein Schutzengel hatte sein Möglichstes getan, aber auf die
Dauer war es doch umsonst. Das Schicksal war mächtiger: das
Schicksal, das meinen schrecklichen Untergang beschlossen
hatte.

Kapitel 3
     
    Als ich siebzehn Jahre alt geworden war entschlossen sich meine
Eltern, mich auf die Universität Ingolstadt zu schicken. Ich wäre
ganz gern auf der Genfer Hochschule geblieben, aber mein Vater
hielt es für nützlicher, wenn ich, um meine Erziehung zu vollenden,
auch mit den Sitten und Gebräuchen anderer Länder vertraut würde.
Der Tag meiner Abreise wurde festgesetzt; aber ehe dieser herankam
traf mich das erste Mißgeschick meines Lebens, das mich ergriff wie
ein Omen meines kommenden Unglücks.
    Elisabeth war an Scharlach erkrankt und schwebte in der
äußersten Lebensgefahr.
    Wir hatten uns alle Mühe gegeben, meine Mutter zu überzeugen,
daß die Pflege der Kranken eine große Gefahr für sie bedeute.
Anfangs hatte sie sich unseren Bitten gefügt; als sie aber
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