Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frame, Janet

Frame, Janet

Titel: Frame, Janet
Autoren: Wenn Eulen schrein
Vom Netzwerk:
so laut», sagte Bob und sah sich verstohlen um. «Es braucht ja nicht die ganze Welt zu wissen, wohin wir fahren, und weswegen.»
    Er nahm die Zigarette aus dem Mund und hielt sie senkrecht hoch, sodass die Spitze wie ein brauner und silberner Zweig aussah, aus dem eine weiße Knospe spross, mit einer kleinen Rauchwolke darüber.
    «Es kostet Strafe, wenn man in einem Nichtraucherabteil erwischt wird», sagte Toby.
    «Das haben wir doch schon besprochen. Deine Mutter wäre einverstanden gewesen. Ich weiß, dass deine Mutter einverstanden gewesen wäre. Der Doktor hat gesagt, diese Hirnoperation ist die einzige Chance, aus Daphne einen normalen Menschen zu machen, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft, das sein Wahlrecht ausüben und am normalen Leben teilnehmen kann, ohne diese merkwürdigen Fantasievorstellungen, mit denen sie sich jetzt herumquält.»
    Das war eine lange Rede, und Bob erschrak, als er sich so sprechen hörte, weil es so unwirklich klang, als ob er gar nicht selbst redete. Er hatte nachgebetet, was ihm der Arzt gesagt hatte, der Mann mit dem langen weißen Kittel und der dunklen Brille, in dem Zimmer mit dem Schrank voller Akten in der Ecke. Der Arzt hatte Daphnes Akte herausgesucht und war mit dem Finger die Seiten auf und ab gefahren wie ein Mann in einer Bank, der Zahlen zusammenzählt, obwohl es heutzutage ja Maschinen zum Addieren von Zahlenkolonnen gibt; und er hatte Bob Withers angesehen und streng, beinahe anklagend, mit ihm geredet und dabei lange Wörter benutzt, die Bob nicht verstand und die ihm Angst machten. Und Bob hatte einen hastigen Blick auf das Papier geworfen und schriftlich seine Zustimmung zur Operation gegeben und sich dabei auf das Wort des Arztes verlassen, denn schließlich musste es der Arzt ja wissen. Und beim Abschied hatte Bob Withers Sir zu ihm gesagt, so eine Angst hatte er vor ihm. Er war froh, dass ihn keiner seiner ehemaligen Arbeitskollegen gesehen hatte, ihn, Bob Withers, der sich in Versammlungen von lauter rauchenden Männern behaupten konnte und dessen Frau sich für ihn abschuftete. Es hieß, dass sie ihm sogar jeden Morgen die Schuhe putzte.
    Das war eine Frau!
    «Ja», sagte Bob. «Deine Mutter wäre einverstanden gewesen. Daphne wird eine andere werden, sozusagen. Ich meine –»
    Er wusste nicht, was er meinte, deshalb seufzte er und schloss die Augen und tat so, als schliefe er, aber lauschte dem Zug, der einen Zungenbrecher aufsagte, den er als Junge gelernt hatte:
Nickende Nichten und wippende Fichten.
Nickende Nichten und wippende Fichten.
    Nach einer Weile ging es über in:
Kränkelnde Kröten kriegen kein krummes Gekröse zu kauen.
    Aber irgendwie passte der ganze Satz nicht, deshalb ließ er den Zug nur sagen:
Kränkelnde Kröten, kränkelnde Kröten, kränkelnde Kröten.
    Und ihn erfüllte eine Schwere und Müdigkeit, sodass er am liebsten immer weitergeschlafen hätte und nie mehr aufgewacht wäre, weil Amy tot und nichts mehr da war.
    Der Zug hielt plötzlich an, und Toby und Bob, die beide eingeschlafen waren, öffneten die Augen. Toby schaute aus dem Fenster.
    «Noch nicht», sagte er. «Er hält nur, damit man sich eine Erfrischung kaufen kann. Willst du etwas? Eine Tasse Tee?»
    «Würde mir guttun», sagte Bob, ohne sich zu rühren. Er fühlte sich kalt und feucht wie eine Kröte.
    Also ging Toby ins Bahnhofscafé, bahnte sich einen Weg durch die Menge und kaufte zwei Tassen Tee und zwei Rosinenbrötchen. Mit dem Teelöffel, der an der Theke angekettet war, tat er Zucker in den Tee und kehrte ins Abteil zurück. Ihm war ebenfalls komisch, und als er den Tee trank, schmeckte er nach Wasserpflanzen und Ton, wie aus einer Welt ohne Menschen.
    Nanu, dachte er. Der schmeckt ja barbarisch.
    Er sah aus dem Fenster auf die Menschenmenge, die sich um die Theke des Erfrischungsraums drängte, und auf die triumphierende Schlange derer, die fertig waren und satt und ausgeruht und verträumt neben ihren leeren Tassen und Sprudelflaschen und verstreuten Sandwich-Krümeln auf der Holzbank saßen, und er dachte mit wachsender Angst, das ist ja barbarisch. Das sind keine Menschen. Es gibt keine Menschen. Und als er sie beobachtete, kamen sie ihm wie das dicke Vieh vor und wie die aufgeschreckten Schafe auf den öden Weiden und in den Sümpfen, an denen sie vor einiger Zeit vorbeigekommen waren. Der Zug fahre in einer halben Minute ab, verkündete der Mann durch den Lautsprecher, aber die verträumten Menschen schienen nicht aufzumerken, sie wirkten zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher