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Frame, Janet

Frame, Janet

Titel: Frame, Janet
Autoren: Wenn Eulen schrein
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Müllleute angezündet hatten, um den Tod ihrer Abfälle zu beschleunigen, konnten sie den Himmel sehen, der blau oder grau flimmernd vorüberzog, und hören, wie die schwere Föhre, die sich über die Grube neigte, im Winde schwankte und vor sich hin Förr-Förr-Förr sagte, ihren eigenen Namen, und ihre rostigen Nadeln abwarf, dass sie in die gelb und grün brennende Muschel fielen und dabei mit winzigen Stichen in die lebende und belebte Wunde stießen, in der die Kinder als Erstes und Bestes Märchen fanden.
    Und ein kleines, grünes, angefressenes Buch von Ernest Dowson, der Cynara anvertraute:
    «Letzte Nacht, ach, gestern Nacht fiel zwischen ihre Lippen und die meinen …»
    Liebe war das und nur etwas für Francie, die jetzt so weit war, wie ihre Mutter sich ausdrückte, wenn sie im Badezimmer über sie tuschelte; nicht für Daphne, die nicht wusste, wie man sich dabei fühlte oder wie man sie tragen sollte, ohne dass man es sah und die Leute sagten: Guck doch mal.
    «Man verliert Blut, wenn man geht», sagte Francie.
    Und da sie nicht wusste, was sie antworten sollte, sagte Daphne: «Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter»,
    mit den Worten des Prinzen, der an dem langen, goldenen Seil auf den Turm kletterte; so stand es in den Märchen, die sie in der Müllgrube gefunden hatten. Das Buch miefte, und es war ebenfalls von Würmern angefressen, die immer noch in seinen vergilbten Seiten lebten, und es war mit Asche bestaubt. Man hatte es weggeworfen, weil es nicht mehr die richtige Sprache sprach, und die Menschen konnten es nicht mehr lesen, weil sie den Weg in seine Welt nicht mehr fanden. In schnörkeliger Schrift stand «Gebrüder Grimm» auf dem Einband. Es erzählte von Aschenputtel und ihren hässlichen Schwestern und dem abgeschnittenen Zeh und der abgehackten Ferse, und von schwarz fließendem Blut, der Schneefarbe jeder Bohnenblüte.
    «Aber ich will nicht zur Schule», sagte Toby. «Ich will zur Müllgrube gehn und noch so ein Buch suchen.»
    An diesem Tag sollte die Ärztin in die Schule kommen. Sie trug ein graues Kostüm, und weil sie Nurse genannt wurde und sehr streng war, brachten die Kinder sie in ihrer Fantasie mit dem todbringenden Sandtigerhai zusammen, dem grey nurse shark, der sich beim Schwimmen von hinten nähert und einen mit einem einzigen Biss verschlingt; wobei man ihn in diesen Gewässern nicht findet, sondern nur in der Nähe von Sydney, glaube ich.
    Jedes Mal, wenn sie kam, holte sich die Nurse die schmutzigen Kinder, musterte sie genau und flüsterte ihnen durch eine Papprolle etwas zu. 32, 55, 61, flüsterte sie; und die Kinder – wenn sie schmutzig waren und untersucht wurden – mussten es nachsprechen: 32, 55, 61; und wenn sie es richtig nachsprachen, hieß das, sie konnten hören und ihnen musste nicht in den Ohren herumgebohrt werden und sie brauchten nicht operiert zu werden. Und dann nahm die Ärztin ein Hölzchen, das wie ein Eislöffel aussah, und stöberte damit sehr, sehr vorsichtig in den Haaren des Schulkindes, um festzustellen, ob sie bewohnt waren. Sie untersuchte auch ihre Kleider, um zu sehen, wie oft sie gewaschen wurden und ob sie neu waren oder nur geerbt. Und sie hielt vor den schmutzigen Kindern eine viereckige Pappe hoch, deutete auf die darauf gedruckten Buchstaben und erwartete, das Alphabet zu hören, aber ganz durcheinander; und man musste ganz klein Gedrucktes lesen können, noch kleiner als die mittlere Spalte in der Bibel, da, wo steht: s. Tim., Röm., 5. Mose und anderes rätselhaftes Zeug.
    Das alles konnte Toby nicht leiden. Er hatte Angst davor. Er hatte auf einer Seite in dem Doktorbuch, das seine Mutter auf dem Schrank hatte, ein Bild von den Tieren mit den vielen Beinen gesehen, die durch die Haare der Menschen laufen; und die roten Flecken, die man im Gesicht bekommen kann, und die Formen, in die sich Beine krümmen können. Toby war selbst ein kranker Junge, der Medizin einnehmen musste, nach jeder Mahlzeit einen Teelöffel voll in Wasser, bis seine Mutter die Schrift auf dem Rezept entzifferte. Da sagte sie:
    «Brom, Gift.»
    Von da an sagte Tobys Mutter jedes Mal, wenn die Medizin kam:
    «Keines meiner Kinder, keines meiner Kinder wird diesen Dreck trinken», und sie zerbrach das Siegel, zog den Korken und goss die dicke, mulattenbraune Flüssigkeit in den Abfluss.
    Mit Toby wurde es nicht besser. Er ging zur Schule, saß in der letzten Reihe, legte den Kopf schief und versuchte zu begreifen, was an die Tafel geschrieben wurde und
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