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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark
Autoren: Thomas Huerlimann
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überhören, daß in ihrem Ton etwas Warnendes lag, fast eine Verwünschung. Das Frau’ lein sprach von meiner Nase, wie sie seinerzeit von den Blicken gesprochen hatte, den sündigen, die gegen das Sechste verstoßen hätten. Für sie war ich eben doch ein kleiner Katz -bei so einem mußte man »besonders aufpassen«.

11
    Am letzten Samstag im Juli, das Datum stimmt, ich habe im Gästebuch nachgesehen, hatten wir großen Andrang, allein der Vormittag brachte Bus um Bus, zuerst zwei Frauenchöre aus Schwaben, dann den Mütterverein Passau, christliche Gewerkschafterinnen aus Gelsenkirchen, den Lesezirkel Hottingen, Nonnen aus St. Maria am Berg, den Pfarreiausflug Ravensburg »mit Gebetsführerin Dr. Hilbig«, den Kirchenchor Schopfloch, Wanderfreunde aus Karlsruhe und andere mehr. Da jeder Verein, wie mir inzwischen aufgefallen war, eine ähnliche Figur an seine Spitze setzt, nämlich eine Resolute mit hochtoupiertem Haar, kam es mir vor, als würde dieselbe Person immer wieder gegen mich und mein Pantoffellager anrennen. Natürlich war es nicht dieselbe, sondern mit jeder Gruppe eine andere, da aber jede dieser Resoluten in der gleichen Funktion, in der gleichen Haltung, mit den gleichen Gesten und Schritten und Gummischuhen durch den langen Flur dahergeknirscht kam, streng der Blick, steif der Rücken, die Frisur ein Turm, die Bluse weiß, Krausen an den Ärmeln, Krausen am Hals, Krausen am Busen, glockig und grün der Faltenrock, die Waden kräftig, die Nylons dunkelbraun, war ich überzeugt, mehrmals am Tag ein-und dieselbe Gruppenführerin mit einem Paar Schutzpantoffeln ausrüsten zu müssen. Die nächste bitte!
    Wieder dieselbe? Nein, nicht ganz. Heute rochen sie, und jede Hochtoupierte roch anders als ihre Vorgängerin, bref, wie der Onkel sagen würde, ohne sich dann im mindesten daran zu halten: Die vielfältige Person, die in allen Varianten stets die gleichen Gummischuhe und die gleichen braunen Nylons trug, brachte an diesem schwüldumpfen Morgen verschiedene Gerüche mit. Die Hochtoupierte aus Passau ließ mich merken, daß sie die Nacht im Plastiksessel eines Busses verbracht hatte, und die aus Kellmünz an der Hier, daß sie sich soeben mit Eau de Cologne überschüttet haben mußte. Die winterlich vermummten Nonnen aus St. Maria am Berg zogen in einer milchdampfigen Wolke daher, und die Gebetsführerin Frau Dr. Hilbig schien sich auf der Herfahrt in einen säuerlich riechenden Schweiß gebetet zu haben. Unter den Achseln hatte sie graunasse Flecken, groß wie Elephantenohren. Hatte sie also doch recht, die Stark; War meine Nase -anders?
    Kurz vor zwölf: lackierte Zehennägel einer Italienerin riechen nach Vanille.
    Halb zwei: ein Nylonfuß streift den Schuh ab, und zum ersten Mal erlebe ich das Wunder eines aufblühenden Geruchs, diesen Frauenfußduft, eine Spezialmischung aus frischem Schweiß, Flieder und Leder. Darf ich bitten;
    Ich halte ihr die Pantoffeln hin, die schwarze Naht schlüpft in den Schuh zurück, der Schuh in die Filzhaube, die Filzhaube über die
    Schwelle, mit schleifenden Schritten, wiegenden Hüften verschwindet die Schöne im Saal. Die nächste bitte!
    Gegen drei Uhr nachmittags dreht sich die Bücherarche mit einem leisen Knarren ms Abendlicht, und unmittelbar danach beginnt die schlimmste Flaute, die wir je erlebt haben. Ich glotze in mein Buch, versuche zu lesen, doch gleite ich auf verschwimmenden Buchstaben immer wieder ms Träumen hinüber, in ein müdes, trauriges Brüten. Dahocken. Dösen. Dämmern. Aber dann, nach dem Kaffee, wurde es an Bord wieder lebendig, die Zirkusmützen erwachten, im Scriptorium tippten sie weiter, und im Büchersaal, der jetzt scharfe, wie aus Nacht geschnitzte Schatten warf, beugten sich die Besucherinnen über die Glasvitrinen mit den Urkunden aus dem karolingischen 9. Jahrhundert.
    Um 16 Uhr 15 ein letzter Bus, eine auffällig schwatzhafte Schar von Lehrerinnen aus Villingen-Schwenningen. In der Bibliothek hatten wir vom Gewitter nichts gemerkt, die schwatzhaften Lehrerinnen jedoch mußte es voll erwischt haben, feucht waren ihre Socken, feucht ihre Strümpfe, naß die Sohlen, und wie reizend, wie wunderbar roch dieser Wald aus lauter Beinen nach nasser Wolle, nassen Fellen! Da wußte ich: Die Stark hatte recht. Ich hatte eine Nase, und diese Nase wollte riechen, riechen! Aber ging es nicht allen so?

12
    Der Stiftsbibliothekar hob die beringte Rechte, zeigte zur Decke, wohl auf Gott, und sagte mit jubelnder Stimme:
    Meine sehr verehrten
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