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Fräulein Else - Novelle

Fräulein Else - Novelle

Titel: Fräulein Else - Novelle
Autoren: dtv
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träumt und träumt wie im Theater auf dem Theater neue Träume im Traum. Dem Ohnmachtstraum klingt die Frage nach: „Träume ich?“ |129| Dann verfestigt sich die Unsicherheit erneut: „Das ist ja alles nur ein Traum.“ |133| Die Träume ergreifen in dieser Geschichte leise und unspektakulär von ihrem Tag Besitz und vermengen ihn mit Befindlichkeiten, die jenseits der Spätsommeridylle als latente Unsicherheiten lauern. Die Sprunghaftigkeit des inneren Monologs, seine assoziativ-unkontrollierte Sprechweise, die irrational anmutenden Gegensätzlichkeiten in Argumenten und Begründungen, die in groteske und surreale Bilder mündenden Aktionen der Protagonistin finden sich bekräftigt als Strukturen eines Traumes, der seine Handlungsmuster und Maskenvorbilder von Schumanns irrlichternden musikalischen Szenen bezieht. Fräulein Else könnte mit guter Berechtigung den Titel Elses Traum tragen (aber das wäre zu simpel gedacht) oder den Titel der zeitgleich entstandenen Traumnovelle in Anspruch nehmen. Aber um der erzähltechischen Parallele zur Monolognovelle Lieutenant Gustl willen heißt sie Fräulein Else , obwohl Else gar nicht monologisiert wie Gustl, sondern träumt und träumt und träumt …
    Alles, was Else an Zumutungen der Wirklichkeit kennt und weiß, ihre Hoffnungen und Befürchtungen, ihr soziales Umfeld und die finanziellen Nöte der Familie und die Spielschulden und Unterschlagungen des eigentlich geliebten Vaters, drängt sich ihr auf und ballt sich – wie in Träumen üblich – zum Albtraum. Der eröffnet Möglichkeiten, Potenzialitäten des Missbrauchs und der Überwältigung zu zeigen, die real noch in den Ritzen einer bürgerlichen Wohlanständigkeit verborgen sind. Aber er ermöglicht der Träumerin auch Handlungen von solcher Provokation und Wunscherfüllungen, die das wirkliche Leben lieber vor sich selber geheim hält. Nie würde Else realiter nackt im Musiksalon auftreten. Der unerhörte Hilfeschrei nach Paul und die geträumte Herausforderung durch den zweifelhaften Freund des Hauses und die unterschwellig in Jahren verspürte Angst vor dem bürgerlichen Ruin des betrügerischen Vaters schaukeln sich zu einem Auftritt im Musiksalon auf, dessen herausfordernde Hysterie durchaus eine Zeitungsnachricht wert sein müsste, wenn es denn kein Traum wäre, der zu guter Letzt Paul um die Träumerin bemüht weiß und der sich sogar seines letalen Ausgangs ledig weiß: „Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.“ Das ist die Botschaft, die Schnitzler seiner verliebt-verzweifelten Träumerin in ihren Traum schreibt, in den Paul sie liebevoll umsorgend entlässt.
    Bis zum Erwachen am nächsten Morgen – man wird Else keinen pikanten Zwischenfall nachsehen müssen, die Tante wird die Mitfahrt im Zug nicht verweigern müssen, keine Zeitung wird Notiz nehmen müssen – wird sich Fräulein Else natürlich wie ihre literarischen Großvettern Zettel, Heinrich von Ofterdingen oder Hans Castorp kaum mehr an ihren Traum erinnern. Die triste und bedrückende Realität der Wirklichkeit ist wieder auf Urlaubsdistanz getreten, der Cimone wird am Morgen weniger drohende Schatten werfen, und Else wird mit Paul und Cissy wieder zum Tennisspielen gehen, sich aber ihre Eifersucht ein klein wenig eingestehen. Die „ Trauma novelle“ über die ungehörten Hilfeschreie eines Mädchens, das nicht schreien will, weil es vom Vater instrumentalisiert und als Köder in Geldbeschaffungsnöten missbraucht werden könnte, sondern das schreit, weil es darauf aufmerksam machen will, dass es liebt, ist wohl am Tag nach ihrem ‚seligen Liebesende‘ mit Blick ins ‚Traumparadies‘ ins Vergessen gerutscht. Garantiert werden die Traumszenen wieder in Erinnerung kommen, wenn sie am Klavier Schumanns Carnaval spielen wird. Die Einsicht und der Vorsatz sind löblich: „Ich vernachlässige mein Klavierspiel. In Wien werde ich wieder regelmäßig üben. Überhaupt ein anderes Leben anfangen.“ |37| Es ist bekannt, wie das mit guten Vorsätzen endet.

Informationen zum Autor
    Arthur Schnitzler wurde am 15. Mai 1862 in Wien als Sohn eines Arztes und erstes von vier Kindern geboren. Er genoss eine gute Erziehung und interessierte sich bereits in der Schulzeit für Literatur. Nach dem Abitur studierte er Medizin und war als praktischer Arzt tätig, dennoch vernachlässigte der Autor auch seine literarische Arbeit nicht. In späteren Jahren arbeitete Schnitzler hauptberuflich als freier Schriftsteller und verfasste
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