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Fräulein Else - Novelle

Fräulein Else - Novelle

Titel: Fräulein Else - Novelle
Autoren: dtv
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– und weiß um die pianistischen Schwierigkeiten dieser musikalischen Leichtfüßigkeiten. Sie lassen sich, wie Else im ersten Moment vermutet, schon mit Chopin verwechseln, tritt er doch höchstpersönlich in Schumanns Komposition auf. Aber zum generellen Bedeutungsträger bestimmt allein Schnitzler dieses Werk, so wie er die Gustl-Technik als formbestimmend wählt. Ausdrücklich wird von ihm wie von Else der pathetische Beethoven zurückgewiesen. Er ist fehl an diesem Platz heiterer Urlaubslaune und konfuser Ereignisse: „Eine Beethovensonate! Wie kann man hier eine Beethovensonate spielen“, wendet Else, die Qualitäten abwägend, ein. |37|
    Trotz vieler Verwandtschaften ist Fräulein Els e keine Neuauflage der Geschichte von Lieutenant Gustl in weiblicher Besetzung geworden. Sie spielt nicht nur konzentrierter in der Zeit, sondern anders als die experimentelle frühe Erzählung an einem Ort, dessen Wege nur vermeintlich den Wegen Gustls durch das nächtliche Wien entsprechen. Else verlässt nur scheinbar den Tennisplatz und ihre Partner Cissy und Paul, zu denen sie ein reichlich ungeklärtes Verhältnis hat. Auch dieses Verhältnis ist von den Interpreten nicht minder vernachlässigt worden; es ist aber vor der musikalischen Folie Schumanns nicht bedeutungslos, handelt es sich doch um jene Figuren des Carnaval , die in der Commedia als Innamorati, als die „lover“, geführt werden und um deren Schicksale sich alles dreht. Else liebt nämlich den Cousin Paul und ist eifersüchtig auf die verheiratete Cissy, der sie ein Verhältnis zu dem gut aussehenden jungen Arzt unterstellt. Sie gesteht sich diese Liebe zunächst nur indirekt ein, indem sie sie konstant leugnet, bis der Schluss ihrer Geschichte ihre ungehörten Hilfeschreie als dröhnendes Echo zurückwirft. Dort entpuppt sich der Vetter als ihr sehnlichst Geliebter, dem die gesamte „Vorstellung“ und „Inszenierung“ auf dem Zauberberg gegolten hat. Mitnichten verzichtet das ‚kleine Luder‘ Else wie die zitierte hochherzige Sünderin, die Kameliendame von Alexandre Dumas, auf ihren Geliebten. Sie wird ihn – anders als im Roman oder in der Traviata -Oper – gegen den Willen des Vaters und der Mutter erhalten, die ja den fast 50-jährigen Direktor Wilomitzer bevorzugt hätten. Sie bilden somit die klassische Commedia-Konstellation, in der natürlich auch „soziale“ Komponenten nicht unbekannt sind. Und von der klassischen Commedia und wie man sie für zeitgenössische Dramatik nutzt, verstand Schnitzler etwas.
    Der Zauberberg mit dem Realnamen San Martino di Castrozza unter dem eindrucksvollen Gipfel des Cimone, auf dem Schnitzler eine zart inszenierte Schumann-Redoute abspielt, trägt einen der Commedia adäquaten kryptischen Namen: A.

S.

C.

H. Das böhmische Städtchen gleichen Namens Asch hatte SCH um A nn, verliebt in die dort geborene Ernestine von Fricken (Estrella), für seine musikalische F ASCH ings-Erzählung gewählt, und diese Geschichte war in Wirklichkeit ein Hilfeschrei für seine Liebe zu Clara Wieck (Chiarina). Die Beziehung Roberts zu Clara wurde sogar gerichtlich vom despotischen Vater Friedrich Wieck (Raro/Pantalone) hintertrieben. Neben ihm tummeln sich weitere despotische und geile komische ältere Herren der Commedia in seiner musikalischen Erzählung. Aber die insgesamt lieblichen Szenen fanden sogar ein glückliches Ende weit jenseits der burlesken, heiteren, melancholischen und kämpferischen Stimmungen von Schumanns Werk. Er bekam seine Clara bzw. Clara bekam ihren Robert, der den doppelten Decknamen Florestan/Eusebius hatte.
    So verhält es sich auch mit den Schnitzler'schen „scènes mignonnes“, an deren glücklichem Ausgang wider allen vordergründigen Anschein kein Zweifel bestehen kann. Schnitzlers sinnstiftende Folie und seine perfektionierte Gustl-Technik sind Garanten fürs Happy End, auch wenn – anders als bei den Schumanns – jenseits der Geschichte keine zukünftige Wirklichkeit der Protagonistin greifbar wird. Aber auch ihre Vergangenheit jenseits der Ängste und Hoffnungen ihrer Geschichte in einem in alle Richtungen offenen Zeit-Raum ist uneinholbar. Und Schnitzlers eigene Tochter und ihr späteres tragisches Schicksal ist in Else nicht gefasst (Schnitzler hat alle Vorlagen aus seiner Wirklichkeit stets in Abrede gestellt), auch wenn sie, so Schnitzler am 25. Dezember 1922 kurz nach Beginn der Arbeit an Fräulein Else , „ungefähr dieselben Dinge, die ich in der letzten Zeit
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