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Forbidden

Forbidden

Titel: Forbidden
Autoren: Tabitha Suzuma
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dass er Beschäftigung braucht und das Gefühl, helfen zu können. Und ich brauche ihn auch.
    Seit dem Tag, an dem das geschehen ist, dem Tag, als sie uns die Nachricht überbracht haben, war jede Minute für mich eine einzige Qual. Ein starker, überwältigender, alles auslöschender Schmerz, wie wenn man seine Hand ins Feuer hält und dann die Sekunden zählt, von denen man zugleich weiß, dass sie nie enden werden, und man wundert sich, wie man das eine Sekunde überstehen kann und dann noch eine und noch eine. Man ist erstaunt, dass man trotz der Qual noch weiteratmet, noch weiter durchs Leben geht, obwohl man weiß, dass der Schmerz nie enden wird. Aber das habe ich bisher getan, ich habe die Hand im Feuer gelassen, aus einem einzigen Grund – wegen Willa, Tiffin und Kit. Ich habe geholfen, die ganze Sache mit Mum zu vertuschen, ich habe für Mum gelogen, ich habe Willa, Tiffin und Kit genau gesagt, was sie den Leuten vom Jugendamt erzählen sollen – aber das geschah alles, als ich noch die Überheblichkeit besaß, die lächerliche, beschämende Überheblichkeit, zu glauben, dass sie mit mir besser dran wären als ohne mich.
    Jetzt weiß ich es besser. Obwohl sich allmählich wieder so etwas wie eine Alltagsroutine eingestellt hat, die Dinge wieder eine gewisse Ordnung haben, habe ich mich in einen Roboter verwandelt und kann kaum für mich selber sorgen, geschweige denn für drei traumatisierte Kinder. Sie verdienen ein besseres Zuhause mit richtigen Familien, die sie unterstützen und ihnen helfen und sie durchs Leben geleiten können. Sie verdienen einen Neuanfang – ein neues Leben, in dem die Menschen, die für sie sorgen, mit den Normen der Gesellschaft besser übereinstimmen, in dem die Menschen, die sie lieben, sie nicht alle verlassen oder einen Zusammenbruch erleiden oder sterben. Sie verdienen es so viel besser. Sie haben es immer schon viel besser verdient.
    Ich bin von alldem jetzt ehrlich und aufrichtig überzeugt. Es hat ein paar Tage gebraucht, aber schließlich habe ich erkannt, dass ich gar keine andere Wahl habe: Da gibt es gar keine Entscheidung zu treffen, es gibt gar keine andere Wahl, sondern nur Tatsachen, die akzeptiert werden müssen. Ich habe nicht die Kraft, so weiterzumachen, ich schaffe das keinen einzigen Tag mehr. Der einzige Weg, um mit meinem erstickenden Schuldgefühl zurechtzukommen, war, mich selbst davon zu überzeugen, dass die drei anderswo viel besser dran sein werden. Den Gedanken, dass ich sie ebenfalls im Stich lasse, will ich lieber gar nicht denken.
    Mein Spiegelbild hat sich nicht verändert. Ich bin mir nicht sicher, wie lange ich da jetzt schon stehe. Aber es muss inzwischen einige Zeit vergangen sein, weil mich wieder fröstelt. Und das ist immer ein Zeichen, dass ich feststecke, dass ich einen Schritt im Tagesablauf vollzogen habe und nicht mehr weiß, wie ich den Übergang zum nächsten schaffen soll. Aber vielleicht zögere ich diesmal ja ganz bewusst. Der nächste Schritt wird der schwierigste von allen sein.
    Das Kleid, das ich mir für diese Gelegenheit gekauft habe, ist genau richtig, ohne zu streng zu wirken. Mit dem marineblauen Jäckchen wirkt es sogar elegant. Es ist blau, weil das Lochans Lieblingsfarbe ist. Lochans Lieblingsfarbe war. Ich beiße mir auf die Lippen. Weinen soll Kindern guttun – hat mal jemand zu mir gesagt, ich weiß nicht mehr, wer. Aber ich habe gelernt, dass es bei mir, wie so vieles andere, was ich versucht habe, sinnlos ist. Nichts kann meinen Schmerz lindern. Weder weinen, lachen, schreien noch flehen. Nichts kann die Vergangenheit ungeschehen machen. Nichts kann ihn zurückbringen. Die Toten bleiben für immer tot.
    Lochan hätte über mein Kleid gelacht. Er hat mich nie so elegant gesehen. Er hätte gesagt, dass ich wie eine Bankerin aussehe. Aber dann hätte er zu lachen aufgehört und mir gesagt, dass ich wunderschön bin. Auch beim Anblick von Kit in einem dunkelblauen Anzug hätte er wahrscheinlich geschmunzelt. Kit sieht in ihm plötzlich viel älter aus als dreizehn. Und er hätte wahrscheinlich den Kopf geschüttelt, dass wir auch Tiffin einen Anzug gekauft haben. Aber die bunte Krawatte mit den Fußbällen, Tiffins ganz persönliche Note, hätte ihm bestimmt gefallen. Willas Kleiderwahl – ihr lila »Prinzessinnenkleid«, das wir ihr gemeinsam zu Weihnachten geschenkt haben – hätte ihn bestimmt zu Tränen gerührt.
    Es hat beinahe einen Monat gedauert – wegen der Autopsie, der Ermittlungen und
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