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Flusskrebse: Roman (German Edition)

Flusskrebse: Roman (German Edition)

Titel: Flusskrebse: Roman (German Edition)
Autoren: Martin Auer
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Prostitution?“
    Mautner war verblüfft. „Wie kommen Sie jetzt darauf? Was ich davon halte? Als Mann oder als Wissenschaftler?“
    „Warum gibt es das? Hat es das immer schon gegeben? Man sagt doch, es ist das älteste Gewerbe der Welt.“
    „Also ich glaube nicht, dass es in früher Zeit ein Gewerbe war. Sie erinnern sich doch: Bärinnen und Schimpansenfrauen ziehen ihre Kinder alleine auf. Meisenweibchen und Menschenfrauen brauchen die Hilfe des männlichen Partners. Wenn die Frau alleine bleibt, kann sie jedenfalls nicht so viele Kinder großziehen wie eine Frau mit einem Partner. Menschenkinder brauchen eben sehr lange, bis sie selbständig werden. In den meisten Gesellschaften, die wir kennen, ist es das Normale, dass eine Frau und ein Mann zusammen ihre gemeinsamen Kinder versorgen. Aber überall gibt es auch Ausnahmen. Und wenn eine Frau – aus welchen Gründen immer – nicht mit bloß einem Mann, sondern mit vielen Männern Sex hat, dann ist es nur natürlich, dass diese Männer einen Beitrag für ihre Kinder leisten müssen. Wenn zum Beispiel eine Frau Priesterin der Fruchtbarkeitsgöttin war, und zu Ehren der Göttin mit Männern geschlafen hat, die den Tempel besucht haben, dann ist sie schließlich auch immer wieder schwanger geworden, genau so wie verheiratete Frauen. Die Kinder der Priesterinnen hat der Tempel aufgezogen, und es war ganz natürlich, dass die Männer dem Tempel dafür etwas geben mussten.“
    Mautner hielt inne und grinste ein wenig: „Fortpflanzungbiologie ist mein Hobby, wissen Sie.“
    „Dann halten Sie es also nicht für etwas Unmoralisches?“
    „Unmoralisch und ein Gewerbe ist es erst geworden, als griechische und römische Sklavenhalter Bordelle eingerichtet haben, in denen ihre Sklavinnen arbeiten mussten.“
    „Aber die Gesellschaft verachtet doch die Frauen?“
    „Ja. Das ist ein klassischer Fall von Doppelmoral. Überall ist die Prostitution verpönt oder verboten und überall gibt es sie, sogar dort, wo sie schwer bestraft wird. Keine Gesellschaft hat bis jetzt die Prostitution abschaffen können. Einerseits bedroht die Hure die Familie. Wenn der Familienvater sein Vermögen zu den Huren trägt, dann entzieht er das seiner Familie. Das verstößt gegen die Interessen seiner Frau und seiner Kinder, aber auch gegen die Interessen seiner Schwiegereltern und seiner eigenen Eltern. Denn er gefährdet damit ihren Fortpflanzungserfolg. Darum ist die Hure verpönt. Aber andererseits schützt die Hure auch die Familie. In Gesellschaften, wo die Mädchen als Jungfrauen in die Ehe gehen sollen, haben die jungen Männer kaum Gelegenheit, diese Mädchen zu treffen. Darum besteht die Gefahr, dass sie sich an die verheirateten Frauen heranmachen und den Männern Kuckuckskinder in die Wiege legen. Also gestattet man den jungen Männern – nicht offen, sondern unter der Hand – sich bei den Huren auszuleben. Der Staat braucht die Huren ebenfalls. In erster Linie für die Armee. Überall, wo Männer längere Zeit fern von ihren Familien leben müssen, gibt es Bordelle: bei den Feldlagern und Kasernen, in den Goldgräbersiedlungen, in Bergwerksstädten, in den Handelszentren, wo die reisende Kaufleute zusammenkommen. Überall dort wäre die Moral der Jungfrauen und der Ehegattinnen gefährdet, wenn es nicht die unmoralischen Huren gäbe. Die Prostitution wird verpönt, weil so die Hure besser kontrolliert werden kann, aber sie wird geduldet, weil so die Moral der Jungfrauen und Ehegattinnen besser kontrolliert werden kann. Aber wie kommen Sie jetzt darauf, warum interessieren Sie sich auf einmal für die Rolle der Prostitution in der Gesellschaft?“
    Juvénal beantwortete seine Frage nicht. „Frau Saberi hat versucht, sich das Leben zu nehmen“, sagte er stattdessen.
    „Um Himmels willen, wie ist das passiert? Wie geht es ihr denn jetzt?“
    „Sie ist wieder so wie vorher. Wie der Mann aus dem Märchen. Sie hat sich drei eiserne Bänder um ihr Herz legen lassen, damit es ihr nicht vor Weh und Traurigkeit zerspringt.“
    Juvénal erzählt Mautner, was geschehen war.
    „Patrice hat ihr den Plastiksack heruntergerissen.. Aber hinterher hat er zu mir gesagt: ‚Wer hat uns das Recht gegeben, sie am Sterben zu hindern?’ War es falsch, sie zu retten?“
    Mautner zuckte ratlos die Schultern. „Das kann sie uns nur selber sagen. Und vielleicht kann nicht einmal sie es. Wir müssen auf sie aufpassen. Sie sollte nicht alleine sein. Was macht sie denn tagsüber?“
    „Sie hilft bei
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